12. Die Nacht der Siegesbotschaft

[384] Den 23sten Oktober 1813.


Erhelle dich, du meine dunkle Halle,

Erfülle dich mit Siegesherrlichkeit!

Triumphgesang! ein Welttriumph erschalle!

Verkünde laut: erfüllet ist die Zeit.

Wer heilig treu am Glauben hielt, der hebe,

Mit mir empor sein freies Haupt, und lebe!


Das Leben war, wie ausgelöschte Gluten,

Wie ausgestoßen aus dem Sonnenraum,

Hinabgesunken in des Orkus Fluten,

Und oben schwamm des Daseins öder Traum.

Des Todes Stachel ist hinweggerissen,

Der Hölle Sieg bedeckt mit Finsternissen!


Das Vaterland ist ledig seiner Ketten;

Die Wahrheit darf sich ihrem Altar nah'n;

Das Recht ist frei, die Seelen zu erretten,

Die tief verzweifelnd seinen Stern nicht sah'n.

Den hehren Stern, der Gottes Reich verkündet,

Und jede Brust, die an ihn glaubt, entzündet.


Bist du es, Wahrheit, die mich aus der langen,

Verstummten Nacht in diese Strahlen hub?

Ist wirklich abgewischt von meinen Wangen

Die Thräne, die so tiefe Furchen grub?

Darf sich das Herz dies Hochgefühl erlauben?

Ich zitt're noch, kaum glaub' ich meinem Glauben.
[384]

Noch lag vor meinem Blick ein dunkles Walten,

Von halb verhüllten Sternen still umkreist;

Und von der Kraft des Glaubens fest gehalten,

Besuchte voll Erinnerung mein Geist

Den Tempelraum, wo meine Götter schwanden,

Die Stelle, wo mein Vaterland gestanden.


Es war der Mitternacht geweihte Stunde;

Sie hatte heilig schweigend sich geweiht:

Da kam, wie Lichtaufgang, die frohe Kunde

Des großen Siegs, in meine Dunkelheit,

So festlich hell, wie Engel sich gestalten;

Sie sprach zu mir: Dein Glaub' hat Wort gehalten.


Triumph! der Sieg des Rechtes ist errungen.

Ihr Völker nichts, o nichts mehr von Verlust!

Werft hinter euch die Schmacherinnerungen,

Ein Gottgefühl erfülle jede Brust!

Fühlt, was die Zeit in ihrem Schoß bewahrte,

Wie groß und herrlich Gott sich offenbarte.


Sei jedes Thal zu einem Gotteshause,

Zum Altar jeder Hügel eingeweiht!

Vom Aufgang bis zum Niedergange brause

Der Lobgesang: Erfüllet ist die Zeit!

Der Feind des Rechts, des Friedens ist vernichtet,

Nicht Menschenweisheit, Gott hat ihn gerichtet.


Auf meinem Hügel will ich niederfallen,

Wie Opferglut auflodern in Gebet.

O still! kein Fluch soll hier herüberschallen.

Geheiligt sei die Luft, die mich umweht,

Fern Haß und Groll! ich nahe mich dem Reinen,

Ein reines Herz, das darf vor Gott erscheinen.[385]

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 135, Stuttgart [o.J.], S. 384-386.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon