Schöner Herbst

[125] Das ist ein sündhaft blauer Tag!

Die Luft ist klar und kalt und windig,

weiß Gott: ein Vormittag, so find ich,

wie man ihn oft erleben mag.


Das ist ein sündhaft blauer Tag!

Jetzt schlägt das Meer mit voller Welle

gewiß an eben diese Stelle,

wo dunnemals der Kurgast lag.


Ich hocke in der großen Stadt:

und siehe, durchs Mansardenfenster

bedräuen mich die Luftgespenster . . .

Und ich bin müde, satt und matt.[125]


Dumpf stöhnend lieg ich auf dem Bett.

Am Strand war es im Herbst viel schöner . . .

Ein Stimmungsbild, zwei Fölljetöner

und eine alte Operett!


Wenn ich nun aber nicht mehr mag!

Schon kratzt die Feder auf dem Bogen –

das Geld hat manches schon verbogen . . .

Das ist ein sündhaft blauer Tag!


  • · Theobald Tiger
    Die Schaubühne, 13.11.1913, Nr. 46, S. 1125, wieder in: Fromme Gesänge.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 125-126.
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