Vaterländische Ritornelle

[220] Wer nimmt es mit mir auf in Ritornellen?

Im Vorrat hab ich noch sechs Pferdelasten.

Wer schönere weiß als ich, der mag sich stellen.

Ligurisch


Du bunter Blumenstrauß!

Hier, Leser, steck die Nase in die Pflanzen,

beriech sie, und die schönsten such heraus!


Blühende Geranien!

Ihr seid wohlfeil und ein billiger Schmuck

wie Königsthrone in dem Land Albanien.


Bescheidenes Veilchen!

Und wenn du denkst, ein neues Wahlrecht kommt –

wir sind in Preußen . . . warte noch ein Weilchen!


Jelängerjelieber!

Ja, über unsern Kanzler und den Gardeflügelmann –

da geht nichts drieber.


Ihr Rosen, Tulpen und Narzissen!

Die Hitze ließ uns auf der Wiese rasten . . .

Dort üben die Soldaten . . . Horch, wer ruft?

»Einjähriger Rosenbaum, drei Tage Kasten!«


Du welkes Blatt!

Wenn du im trocknen Laube raschelst, muß ich denken,

daß unser Kanzler was geredet hat.


Süß duftende Banane!

Der Säugling heult. Die Misses legt ihn trocken.

Als Windel dient die Votes-for-womens-Fahne.


Vaterländisches Gartenland!

Ein fetter Humus, doch was wächst, ist ohne Reiz.

Fehlt wohl des guten Gärtners leichte Hand?

Da lohnte sich, es besser zu begießen

(mit Spucke nicht, mit Wasser!) – dann gedeihts.

Und tausend schönre Blumen werden darauf sprießen!


  • [220] · Theobald Tiger
    Die Schaubühne, 07.05.1914, Nr. 19, S. 527, wieder in: Fromme Gesänge.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 220-221.
Lizenz:
Kategorien: