An eine Marie vom Lande

[250] Marie – Du ringst die derben Hände:

»Du Sündenbabul! Pfui Berlin!«

So streust Du über das Gelände

den Dung und die Entrüstung hin.

So geußest Du ob dem gewellten

Asphaltreich den Kritikbericht . . .

Marie – es dürfen viele schelten!

Du nicht!


Bedenk, wir könnten Dir erschließen,

wie bei Dir draußen auf dem Land[250]

– dem rechts der Elbe – Preise sprießen,

die vormals dort kein Mensch gekannt.

Wir könnten Dir so manches zeigen

von Polenarbeit, Menschenpflicht . . .

Es ist jetzt Krieg – und wir, wir schweigen.

Du nicht.


Wir sind durchaus nicht so begeistert,

von allem, was die Panke beut:

der Schieber, der die Wechsel meistert,

die Dame, die den Schieber freut;

das Kino-Café gegenüber,

der Händler, den der Hafer sticht . . .

Es gibt ja manche, die stehn drüber.

Du nicht.


Hör auf, uns sauer anzumucken –

bei uns hast Du damit kein Glück.

Man kann zwar leicht nach unten spucken,

nach oben nicht – das fällt zurück.

Hier ziehts! Du kannst Dich leicht erkälten –

und Du stehst selber vor Gericht.

Marie – es dürfen viele schelten!

Du nicht!


  • · Theobald Tiger
    Die Schaubühne, 31.10.1916, Nr. 44, S. 416.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 250-251.
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