Nebenan

[258] Nebenansitzen die Leutnants hinter der dünnen weißlackierten Tür. 's geht ja hoch her, dideldumdei! Aber unsereiner ist nicht dabei. Wir – die so Gemeinen – stehen im Nebenzimmer um einen Tisch und vervielfältigen irgend etwas auf einer rätselhaften komplizierten Druckmaschine.

Der kleine Leutnant hat den Deckel des Flügels zurückgeklappt. Jetzt –. Er spielt doch sehr hübsch. Er versteht es, so die Töne im Sopran perlen zu lassen, ein bißchen zu zögern und dann unten im Baß loszulegen. Was der Junge alles mit dem einfachen Walzerrhythmus anstellt! Wie wenn jemand auf eine Trampoline aus Gummi springt, so schnellt und federt das. Wie dumpf die Resonanz klingt!

Alle rufen den Namen eines Liedes, das jedes Grammophon auswendig weiß. Er klingelt es ihnen vor. Nach den ersten belanglosen Passagen, in denen der merkwürdige Ton b in A-Dur dem Tondichter das Gefühl höher schwellen ließ, es mit den polyphonsten Modernen aufnehmen zu können, kommen jene berühmten sechzehn Takte, die eigentlich nur ein großes Atemholen sind, die Pause vor dem Schlag. Schlag zu –!

»Flieg, du kleine Rumplertaube . . . «

Der ganze Laden singt mit! Wenn man den ganzen Tag übergeflogen ist, dann hat man schließlich das gute Recht, abends davon zu singen. Und sie singen! Einer hat eine Stimme wie ein Hahnenimitator, ein andrer mutiert grade, dazu ein oller, ehrlicher Baß – Symposion.

Meine Mitgemeinen sind schon lange fort. Der Leutnant spielt noch[258] immer. Er spielt mir – der Teufel hole die Assoziationen, und Gott segne sie! – alle Erinnerungen des ›Voraugust‹ wach. Das war eine sündhafte Zeit: die ganze Nacht tanzten wir Tango, verjubelten unser Geld durch den Besuch der (Karl, zieh den Atem ein) Lichtspielhäuser und schwelgten in Kunstgenüssen, die uns im wesentlichen das Ausland vermittelte. So war es doch, nicht wahr? Denn so steht es auch in meiner Zeitung, und da muß es wohl richtig sein. Der Leutnant spielt. Er spielt alles hintereinander, was ihm grade einfällt: da – nun macht er im Walzer eine kleine niederträchtige Pause, unter der man sich allerlei vorstellen kann . . .

Die Lampe ist fort. Auf dem Tisch schimmert matt die geheimnisvolle Maschine. Es ist ganz dunkel. Und in dem Dunkel ist nur ein helles Ding; es blinzelt mich an, leuchtend, glänzend, unverschämt blitzend: das Schlüsselloch.


  • · Peter Panter
    Die Schaubühne, 30.11.1916, Nr. 48, S. 517.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 258-259.
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