Im Käfig

[301] Hinter den dicken Stäben meiner Ideale

lauf ich von einer Wand zur andern Wand.

Da draußen gehen Kindermädchen, Generale,

Frau Lederhändlerswitwe mit dem Herrn Amant . . .


Manchmal sieht einer her. Mit leeren Blicken:

Ah so! ein Tiger – ja, das arme Tier . . .

Dann sprechen sie von »Tantchen auch was schicken

in Pergamentpapier«.


Ich möcht so gern hinaus. Ich streck und dehn mich –

die habens gut, mit ihrer großen Zeit!

Sie sind gewiß nicht rein, und doch: ich sehn mich

nach der Gemeinsamkeit,


Der Tiger gähnt. Er käm so gern geloffen . . .

Doch seines Käfigs Stäbe halten dicht.

Und ließ der Wärter selbst die Türe offen:

Man geht ja nicht.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 30.05.1918, Nr. 22, S. 507, wieder in: Fromme Gesänge.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 301.
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