Namensänderung

[347] Ich muß mir einen neuen Namen geben.

Mein Gott, wer ändert nicht in großer Zeit!

Man kann ja auch als Kaspar Hauser leben,

wie er war ich von aller Welt so weit.


Ich Menschenfremdling dacht in meiner Klause:

Ist ein Professor einmal Monarchist,

weht einmal Schwarz-Weiß-Rot von seinem Hause,

dann, dacht ich, bleibt er eben, was er ist.


Ich Kind! Da lebt ich so im frommen Wahne.

Der hat ja gar nicht jenen Thron gemeint!

Sein Banner ist die kleine Wetterfahne:

Zahlst du Pension? Wenn nicht, bist du der Feind.


Und flugs und flink hat er sich umgewandelt.

Man ändert seinen Namen, nicht das Herz.

Man lernt die neuen Worte, und man handelt

die Überzeugung nunmehr anderwärts.


So zeigt sich denn beim Leben und beim Schreiben:

die Reaktion ist alt – die Phrase neu.

Ich aber will gern euer Alter bleiben,

als Kaspar Hauser.

Bleibt mir weiter treu!


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 05.12.1918, Nr. 49, S. 540.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 347.
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