Weihnachten

[349] So steh ich nun vor deutschen Trümmern

und sing mir still mein Weihnachtslied.

Ich brauch mich nicht mehr drum zu kümmern,

was weit in aller Welt geschieht.

Die ist den andern. Uns die Klage.

Ich summe leis, ich merk es kaum,

die Weise meiner Jugendtage:

O Tannebaum!


Wenn ich so der Knecht Ruprecht wäre

und käm in dies Brimborium

– bei Deutschen fruchtet keine Lehre –

weiß Gott! ich kehrte wieder um.

Das letzte Brotkorn geht zur Neige.

Die Gasse grölt. Sie schlagen Schaum.

Ich hing sie gern in deine Zweige,

o Tannebaum!


Ich starre in die Knisterkerzen:

Wer ist an all dem Jammer schuld?

Wer warf uns so in Blut und Schmerzen?

Uns Deutsche mit der Lammsgeduld?

Die leiden nicht. Die warten bieder.

Ich träume meinen alten Traum:

Schlag, Volk, den Kastendünkel nieder!

Glaub diesen Burschen nie, nie wieder!

Dann sing du frei die Weihnachtslieder:

O Tannebaum! O Tannebaum!


  • · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 19.12.1918, Nr. 51, S. 589, wieder in: Fromme Gesänge.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 349.
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