Ich dachte schon . . .

[113] Ich dachte schon, als Willi türmte,

nun wärs für unsereinen aus.

Was mich, ich muß es sagen, würmte,

denn gern geht kein Akteur nach Haus.

Ich schnallte schon die Harfe ab

und wankte in ein frühes Grab.[113]


Doch hundert Schritte vorm Portale –

was hört da mein entzündet Ohr?

Aus Phrasenlärm mit einem Male

schallt ein Kommando frisch hervor.

Der Vater Noske . . . Ach, zum Speiben . . .

Ich dachte mir: Da kannst du bleiben!


Ich blieb, und was ich nun erlebte,

gemahnt mich an die alte Zeit . . .

Wenn ich den Herren eine klebte,

geschahs aus liebem Zeitvertreib –

Ich danke fröhlich Gott dem Herrn:

Heut tu ich es noch mal so gern.


Da haben wir den alten Kummer,

den alten Dreh, den alten Wahn –

die beste wilhelminische Nummer

hat mir es nicht so angetan.

Wenn Weimar singt, grins ich erbaut:

Wie ist mir dieses Lied vertraut!


Ich dachte schon, ich sei erledigt . . .

Gott nahm mich unter seinen Hut.

So eine fette Fastenpredigt

ist nach wie vor für viele gut.

So lang ihr diesen Schiebern borgt:

Ich bleibe da –

Für mich ist ausgesorgt!


  • · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 26.06.1919, Nr. 27, S. 747.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 113-114.
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