Zwei Mann: Gitarre und Mandoline

[141] Im Waldlager 1917. Der Major steht vor dem Bataillonsunterstand und spiegelt sich in der Sonne. Wir stehen im Stellungskrieg, seit langen Monaten im Stellungskrieg, und jetzt ist August, der Feind ist ruhig, die Marketenderei klappt, die Herren trinken abends ihren Sekt und denken sich am Tage immer etwas Neues aus, um das Leben ein bißchen abwechslungsreicher zu machen. Birkengeländer um die Offiziersunterstände haben wir schon. Es werden zwar die feindlichen Flieger auf uns aufmerksam werden, aber dafür sieht es schön aus. Schön wie eine Ansichtskarte. Schilder an allen Ecken und Kanten haben wir auch. Die Offiziersunterstände sind pompös ausgebaut. Wir haben alles, Verzeihung, die Herren haben alles.

Und nun steht der feiste Kommandeur in der Sonne und glänzt und strahlt und denkt nach, was man jetzt aufführen könnte. Richtig! – »Waren da nicht neulich zwei Kerls, die Musik machen konnten? Jeije oder so was?« – Der Adjutant wippt nach vorn. »Gewiß, Herr Major! Sehr wohl, Herr Major! Zwei Mann aus der dritten Kompanie. Einer spielt Gitarre, der andere Mandoline. Hört sich sehr hübsch an. Vielleicht könnten die heute abend, wenn ich mir den Vorschlag erlauben darf . . . ?« – »Kerls sollen heute abend antreten. Um neun Uhr. Kriegen Freibier.«

Und sie treten an, und die kleinen Lampions schaukeln im Winde,[141] das Kasino hat in der Birkenlaube decken lassen, und es gibt schöne Sachen, die so ein Musketier noch nie im Kriege zu sehen bekommen hat: Gänseleberpastete und Gurken und kalten Fisch und Rotwein und Sekt und Weißwein und viele, viele Schnäpse . . . Die Spieler stehen schüchtern am Eingang der Laube. Dem einen schluckts im Halse – seine Frau schreibt, sie stehe täglich zwei Stunden nach Kartoffeln an . . . .. »Na, spielt mal was, ihr beiden!« ruft der Major gutgelaunt herüber. Und sie fassen ihre Instrumente fester, verständigen sich durch einen Blick, und durch die lauten und lustigen Gespräche der Offiziere zimpert es – drohend? warnend? – klar und melodisch: »In der Heimat – in der Heimat – da gibts ein Wiedersehn . . . «


Staubiger Stadtsommer 1919. Am Ausgang eines berliner Stadtbahnhofs stehen zwei Mann, krüppelig und zerlumpt: Gitarre und Mandoline. Jedesmal, wenn die Fahrgäste eines Zuges auf die Straße herunterströmen, fassen die beiden ihre Instrumente fester, verständigen sich durch einen Blick, und los gehts: »In der Heimat – in der Heimat – da gibts ein Wiedersehn . . . «

Wo habe ich die beiden Grauen nur schon einmal gesehn? –


  • · Ignaz Wrobel
    Berliner Volkszeitung, 14.08.1919.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 141-142.
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