Am Grabe von Hans Paasche

[356] Wir stehen am Grabe des Kommunisten und Pazifisten Hans Paasche, der uns nach Gottes und der Reichswehr unerforschlichem Ratschluß vorgestern ziemlich sanft entrissen worden ist, Korn, halblinks oben. Lobsinget, lobsinget Gott! Lobsinget, lobsinget unserm Könige! (Psalm 47,7).

Wie man einen Knaben gewöhnet, so läßt er nicht davon, wenn er alt wird (Sprüche 22, 6). So hat auch unser lieber Verstorbener schon als junger Mensch Idealen angehangen, die nicht wohlgefällig waren vor der Obrigkeit, und, leider, als der glorreiche Krieg beendet war, maßte er sich an, über seine Kameraden eine gar böse Zunge zu führen. Und was deines Amts nicht ist, davon laß deinen Vorwitz (Sirach 3, 24). Unser lieber Verstorbener tat aber nicht also, und die Kriegsleute sprachen untereinander: »Wer mich ehret, den will ich auch ehren; wer aber mich verachtet, der soll wieder verachtet werden.« (1. Samuel 2, 30)

Denn diese Beerdigung ist das Werk unsrer Kriegesmacht, und sie tat wohl daran, und sie reicht von einem Ende zum andern gewaltiglich und regiert alles wohl (Weisheit 8, 1). Jammer und Elend ist im Jahre 1918 nach Christi Geburt über die Kriegsleute hereingebrochen. Die große Zeit und das Kasino waren dahin gefahren wie ein Strom; der Most verschwindet, der Weinstock verschmachtet, und alle, die von Herzen fröhlich waren, seufzen (Jesaja 24, 7). Denn die Kriegsleute hatten geraubt, ein jeglicher für sich (4. Mose 31, 53); sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheuern, und ihr himmlischer Vater nähret sie doch (Matthäus 6, 26). Und die Kriegsmacht hing noch immer dem rechtmäßigen Kaiser an, nach dem Spruche, der da lautet: Gib einen alten Freund nicht auf, denn du weißt nicht, ob du soviel am neuen kriegst. Und es hing die Kriegsmacht zum zweiten an dem Knecht im Herrn, Ludendorff; es war aber in ganz Israel kein Mann so schön als Absalom und hatte dieses Lob vor allen; von seiner Fußsohle an bis auf seinen Scheitel war nicht ein Fehl an ihm (2. Samuel 14, 23). Und der Herr sprach zu ihm: Tue deinen[356] Mund weit auf (Psalm 81, 11). Und er tat also und kehrte die Städte um und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was aus dem Lande gewachsen war (1. Mose 19, 25). Denn so spricht der Herr: Siehe, ich will die Einwohner des Landes auf diesmal wegschleudern und will sie ängstigen, daß sie es fühlen sollen (Jeremia 10, 18).

Und viel Volkes kam im Kriege um, nicht aber die Führer der Kriegsknechte; sie gingen trocken mitten durchs Meer und das Wasser war ihnen für Mauern zur Rechten und zur Linken (2. Mose 14, 29).

Und Gott sprach zu Noske: Meine Knechte sollen neu wiederhergestellt werden; und gib jedem einen neuen bunten Rock und unten an seinem Saum sollst du Granatäpfel machen von blauem und rotem Purpur und Scharlach um und um, und zwischen dieselben güldne Schellen auch um und um (2. Mose 28, 33).

Aber der böse Feind, dem auch leider unser lieber Verstorbener angehört hat, wollte nicht also und sprach zu den Gehaltsempfängern: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden (1. Mose 17, 11). Nämlich am Geldbeutel.

Da aber fuhr der Blitz des Herrn hernieder und traf den Aussätzigen, und er traf gut, und alles, was Odem hat, lobe den Herrn! (Psalm 150, 6)

Und wieder erhob sich der böse Feind, dem auch leider unser lieber Verstorbener angehört hat, und fing an zu locken und sprach von Bestrafung und dem irdischen Gericht. Aber mein ist die Rache, spricht der Herr. Und wahrlich, ich sage euch, Kriegsknechte, seid ruhig. Denn ihr habt gehandelt nach dem Wort, das da gilt für die Pazifisten: Gib ihnen nach ihrer Tat und nach ihrem bösen Wesen, gib ihnen nach den Werken ihrer Hände, vergilt ihnen, was sie verdienet haben (Psalm 28, 4).

Und seid ohne Sorge vor dem Knecht Gottes Friedrich Ebert, auch wenn ihr eine kleine Sünde begangen habt: Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat (Psalm 103, 10). Und seid ohne Sorgen vor dem Knecht Gottes Geßler: denn der Herr verstößt nicht ewiglich; sondern er betrübt wohl und erbarmet sich wieder nach seiner großen Güte (Klagelieder 3, 32, 33). Und wahrlich ich sage euch: Zur Seite stehet euch der Kriegsgerichtsrat; es ist mancher scharfsinnig, aber ein Schalk und kann die Sache drehen, wie ers haben will (Sirach 19, 22).

Der da aber ruhet im Grabe, das man ihm in christlicher Vergebung seiner Sünden noch geschaufelt hat – ihm sei verziehen! Ruhm und Preis aber denen, die den Willen Gottes und seinen Rachestrahl also gelenket und ausgeführet haben!

Ich entlasse euch, meine liebe Gemeinde, nach dem Worte des Evangelisten Lukas (10, 37): Gehet hin und tuet desgleichen!


  • [357] · Kaspar Hauser
    Freie Welt, 13.06.1920, Nr. 21, S. 2, wieder in: Mona Lisa.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 356-358.
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