Ein Aufruf

[406] Aus der Festungshaftanstalt Ansbach schreibt mir Erich Mühsam:

»Sie fragen mich an, ob Sie für uns (wir sind hier in Ansbach fünf Festungsgefangene, in ganz Bayern noch etwa hundertundzwanzig) – von der Amnestie werden wir ja ausdrücklich ausgenommen[406] – etwas tun können. Es gibt in allen Anstalten besonders bedürftige Genossen, denen mit Likör, Tabak, Zigarren, Zigaretten, Eßwaren jeder Art und Geld geholfen werden kann. Ich nenne Ihnen ein paar Namen von braven gefangenen Proletariern, die sonst ganz ohne Protektion dastehen. Vielleicht wäre es Ihnen möglich, dahin mal eine Hilfsaktion zu dirigieren. Da ist zunächst ein über fünfzigjähriger Arbeiter Gottfried Bareth in Sankt Georgen Bayreuth, der sehr arm und schwer magenleidend ist; eine Tafel Schokolade oder eine Dose kondensierter Milch wäre für ihn eine große Wohltat. In Nieder-Schönenfeld bei Rain am Lech käme Ludwig Egenspurger in Betracht, der gern raucht und sich keine Zigaretten leisten kann. Ebenso geht es dem – seiner politischen Betätigung wegen – relegierten Studenten Ernst Ringelmann in Lichtenau bei Ansbach. Natürlich sind auch wir hier in Ansbach für jede Unterstützung dankbar.«

Eine Regierung, die eine Amnestie nur deshalb erläßt, weil sie nicht die Machtmittel hat, die Täter eines vollendeten Hochverrats zu fassen und zu bestrafen, verfolgt dafür, getrieben von der peitschenden Rachsucht bürgerlicher Kreise, die Anhänger der Münchner Räte-Republik mit Haß und Ausdauer. Über den Wert oder Unwert dieser Männer und ihrer Bestrebungen ist so lange nichts zu sagen, wie die Kappisten frei herumlaufen und dank einem Notgesetz die Möglichkeit haben, es nächstes Mal besser zu machen. Erich Mühsam hat fünfzehn Jahre Festung bekommen. Dafür dürfen Marloh, Kessel und Hiller schon eine ganze Menge.

Wer einmal – im Gefängnis oder bei den Preußen im Krieg – vom Boden seiner Tätigkeit abgeschnitten war, der weiß, was Einsamkeit ist, und weiß auch, wie jedes kleine Zeichen erfreut: eine Karte, ein Paket oder ein Buch vom andern Ufer, von der Welt, der man einmal angehört hat,

Ihr, die ihr dieses lest, wolltet und wollt gewiß helfen. Ihr kommt nur nicht dazu, und ein guter Vorsatz wird rasch vergessen. Vergeßt nicht. Denkt an diese kleine Schar von Idealisten, die grade noch mit dem Leben davon gekommen sind und es nun für die feige Rachsucht einer schwachen Regierung in qualvollen Jahren hergeben sollen. Der Mörder Kurt Eisners darf aus seiner Haft monarchistische Artikel schreiben – diesen Männern da geht es nicht gut. Kein Leitartikel, keine Volksversammlungsrede und keine Arbeit der Organisationen dringt unmittelbar hinter die Festungsmauern. Helft anders.

Ich bitte für eingekerkerte und notleidende Menschen geistigen Kalibers und reinen Willens um Geld oder unverderbliche Nahrungsmittel oder Bücher. Auch Tabak in jeder Gestalt ist sehr willkommen.

Sendet, was ihr senden wollt, an den Verlag der Weltbühne, Charlottenburg, Dernburgstraße 25, mit der Aufschrift: ›Für die politischen Gefangenen Bayerns‹. Jede Sendung wird hier quittiert.[407]

Bayern spielt sich seit einiger Zeit als europäischer Großstaat auf. Die eingesperrten Geistigen Bayerns wenigstens sollen sehen, daß das Land noch zu Deutschland gehört, und daß wir auch noch da sind.


  • · Kurt Tucholsky
    Die Weltbühne, 26.08.1920, Nr. 35, S. 243.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 406-408.
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