Das kleine Logbuch

[136] Es ist mir eine Freude, ein kleines neues Buch Otto Flakes anzeigen zu dürfen, den ich neben Heinrich Mann für unsern bedeutendsten Essayisten halte. Dergleichen geht uns am meisten an.

›Das kleine Logbuch‹ ist bei S. Fischer erschienen, und es paßt in jede Manteltasche. Ob es auch in jeden Kopf paßt, das ist eine andre Sache.

Unsre Fragen stehen darin mit neuen Antworten, unsre Sorgen, unsre Zweifel und unsre Verzweiflungen. Der Stil ist schön und geglättet – aber dies Denken ist wild und zerrissen, und man sieht, daß sich da einer gequält hat, dem sein Land zur Last ward. Welches ist sein Land?

Flake ist Elsässer. Als man einmal einen seiner Landsleute fragte, warum er, der im Frieden so auf die Preußen geschimpft habe, nun aber auch nicht mit der französischen Besatzung verkehre, und zu welchem Lager er denn nun eigentlich gehöre, da sagte er: »Wir stehe halt in der Opposition!« Flake steht in einer positiven, in einer höchst fruchtbaren Opposition.

Mich hat in den kleinen Aufsätzen, von denen besonders die ersten brennend aktuell sind, am meisten die Stelle ergriffen, wo von dem Ausweg die Rede ist, den man nun wählen könne. Da heißt es: »Nicht nachgeben, nicht sich auf den Individualismus zurückziehen, der Verbannung auf die Südsee-Insel ist, verlogene Robinsonade. Noch stärker um das Tier Mensch wissen, ihm nicht einreden, daß, je mehr Masse aus der Tiefe komme, Masse umso besser, menschlicher, unverantwortlicher sei. Die Bestie in ihm, in mir, in uns Bestie nennen, den Funken Güte hegen, das heilige Feuer erst entzünden, denn seine Altäre brennen noch nicht.« Das ist die Frage unsrer Zeit.

Und der dieses schrieb, weiß auch vom Apparat, der Selbstzweck[136] wird, von der unmöglichen Diktatur der Güte, die der Teufel stets den Engeln wieder abluchst, von der Idee und vom Menschen . . . »Er wird der Idee untertänig, von ihr bis zum Ende vorwärtsgepeitscht, nicht mehr er hat die Idee, die Idee hat ihn . . . «

Und fern von allen scharfen Formulierungen des heimischen Jammers auch die Sehnsucht des Städters nach dem Land. Wie unsentimental! »Ein Hahn krähte – neu. Ein Brunnen rauschte – neu. Bäume wiegten sich, Wind kam vom Morgen, neu, neu, noch einmal jung das in ihm Erstorbene.« Manches solcher Diktion könnte bei Wassermann stehen.

Im ganzen eine erfreuliche Hilfe für alle guten Deutschen, die schlechte Preußen und schlechte Bayern sind. Flake scheint mir in der Kulturpolitik das zu sein, was Hellmut v. Gerlach in der praktischen ist: ein unbeeinflußter Outsider mit klaren Augen. Gleich weit entfernt von den Mathematikern des Gehirns, die sich, erdenweit, Reformen errechnen und nichts von den Lebensströmen wissen, die hier erbrausen, wie von den lyrischen Schreibern, die, erdenweit, die Welt mit einer Phrase zudecken wollen.

Wenn man bedenkt, wie groß der Haß dieser Teutschen (nicht aller Deutschen) auf das Neue ist, wenn man die verschobenen Komplexe kennt, die versetzten Angriffe, die an den doorner Deserteur denken und, zum Beispiel, den Künstler Jeßner treffen – wenn man all das weiß: dann ist eine Erscheinung wie Flake eine geistige Wohltat.

Dies Buch für eure Tasche. Und für euern Kopf.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 02.03.1922, Nr. 9, S. 226.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 136-137.
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