Geßler und wir

[238] Vater Geßler, jene bekannte komische Figur aus Schillers ›Wilhelm Tell‹, hat – immer mal wieder – Strafantrag gegen mich gestellt. In der Nummer 13 dieses Jahrgangs habe ich in einer kleinen Arbeit: ›Die Erdolchten‹ einen Überblick über das Treiben der Offizierskaste in Deutschland gegeben, und wenn einer von uns das Wort ›Offizier‹ oder ›Militarismus‹ benutzt, dann dreht sich jener um und fühlt sich getroffen.

Von wem dieser Mann eigentlich beraten wird, ist mir völlig unverständlich. Der Strafantrag ist ein Gipfel der Leichtfertigkeit, und Geßlers illoyale Art, da zu kneifen, wo die Immunität schützt, und da anzugreifen, wo der Publizist frei ist, wird nur noch von seiner wilhelminischen Schroffheit übertroffen. Er sollte weniger Strafanträge schreiben, die keinen Menschen interessieren, und sich mehr um seine Reichswehr kümmern.

Wir werden ihn ja nun bald als irgendetwas Schönes in einer fremden Stadt wiedersehn: denn, wie es heißt, machen sich Gesundheitsrücksichten geltend. Man hat nur noch keinen Nachfolger. Den[238] Mitgliedern des Reichskabinetts aber, die auch vor einer Uniform ihre Kühle bewahren, sei gesagt:

Warum quälen wir uns eigentlich mit dieser Republik herum? Regierungsrat will keiner von uns werden, und einen Orden wollen wir auch nicht – wir haben nur Kummer, Arbeit und sonst nichts davon. Gut. Aber nun auch noch von eben dieser Republik dauernd auf den Kopf zu kriegen, weil wir uns im Endeffekt schließlich gegen ihre Feinde wenden – dieses, Verehrte, fällt uns uff. Kampf ist eine schöne Sache – Herr Geßler hat schon einmal die Stätte des Gerichts leise weinend verlassen –, und ich kann noch ganz schön. Ich sehe auch von dem fehlenden Gefühl für Nuancen ab: wenn der Mann in seiner langen Amtsführung nicht gelernt hat, zu unterscheiden, wer der Republik wirklich schadet, und wer sie züchtigt, weil er sie lieb hat – dann ist ihm nicht zu helfen.

Immer und immer wieder raffen wir uns auf; immer und immer wieder haben wir geraten und zu helfen versucht; immer wieder, im Interesse der Sache und im Interesse der Republik, haben wir geschwiegen und da nichts gesagt, wo wir vielleicht hätten schaden können – immer und immer wieder haben wir Stange gehalten.

Wofür eigentlich –?


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 27.07.1922, Nr. 30, S. 96.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 238-239.
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