Meine beiden letzten Goldstücke

[255] Als ich seinerzeit zu den Fahnen eilte – ich hätte Zuchthaus bekommen, wenn ich nicht geeilt wäre –, da trug ich, in ein kleines Lederbeutelchen genäht, zwei Goldstücke auf der Brust mit mir hinaus. Es waren meine letzten. Es waren unsere letzten: Ilse hatte sie mir gegeben, sie hatte sie mir für Papiergeld eingetauscht, die beiden letzten, die sie sich aufbewahrt hatte – für mich. Sie sagte: »Du kannst nicht wissen, ob du nicht in Gefangenschaft gerätst – und Papiergeld werden die Kosaken nicht haben wollen. Nimm das da.« Und dann hatte[255] sie sehr geweint. Und mir war auch nicht so sehr vergnügt zu Mute.

Die beiden Goldstücke und ich – wir fuhren nach Rußland. Rings um den kleinen Lederbeutel auf meiner Brust klettern die Läuschen auf und ab, diese Internationale des Schmutzes – ich mußte Geld ausgeben, um das kümmerliche königlich preußische Essen aufzubessern, das mir meine Vorgesetzten übrig ließen – aber die Goldstücke blieben immer da.

Bis eines Tages – ich sehe das noch wie heute vor mir – unser Kompanieführer und sein langer Feldwebel vor die Front traten. Es waren beides feine Herren: der Kompanieführer soff wie ein Loch, um ein Gegengewicht gegen das fette Essen zu schaffen – und der Feldwebel aß wie ein Scheunendrescher, weil er sonst den vielen Alkohol nicht vertragen hätte. (Die Front ist übrigens später von den Sozialdemokraten erdolcht worden.)

Die beiden Jungens also stelzten vor die Kompanie, und nachdem »Stillgestanden!« und »Augen rechts!« und »Augen gradeaus!« gespielt worden war, las der Feldwebel auf Geheiß des Kompanieführers etwas vor. Es war ein großes Schriftstück, und weil manche unangenehme Fremdwörter darin vorkamen, gab es einige kleine Malheure. An diesem Tage hatte auch die Kompanie Rum empfangen, und die beiden Behörden waren nicht so ganz gut bei Satz. So viel aber konnte man doch aus dem Aufgesagten entnehmen: das Vaterland brauchte Geld. Und zwar Gold.

Und weil sich das Vaterland, wenn es Gold braucht, niemals an die großen Industriekapitäne wendet und an die Agrarier, weil das unbequem ist, sondern lieber den kleinen Leuten ihre letzten Sparpfennige aus den Taschen holt – deshalb las hier in Polen der Feldwebel dieses Schriftstück vor. Es sei Ehrenpflicht jedes deutschen Soldaten, hieß es darin, etwa noch vorhandenes Goldgeld abzuliefern. »Weggetreten –!«

Mir schlug das Herz unter dem Lederbeutel. Sollte ich – oder sollte ich nicht –? Man konnte doch nie wissen – das mit der Gefangenschaft ––. Aber andererseits – vielleicht gaben wirklich in der Heimat alle Leute ihr Goldgeld ab, und nur ich nicht . . . In einem leichten Anfall von Patriotismus gab ich die beiden Goldstücke ab. Der Feldwebel sah mich nicht einmal an, als ich sie ablieferte – und nachdem ich vor ihm Männchen gemacht hatte, verließ ich die Schreibstube. –

Die Postverwaltung gibt heute für ein Zwanzigmarkstück 2000 Mark (in Worten: zweitausend). Und ich bekam damals zwei Zwanzigmarkscheine zurück – und dafür kann ich heute vier Mal auf der elektrischen Bahn fahren.

Und so – wie mit den Goldstücken – war es mit der Kriegsanleihe und mit den Heeresberichten und mit den politischen Versprechungen des kaiserlichen Regimes und mit allem andern. Millionen und Millionen[256] haben ihr Letztes hingegeben – Geld und Gold und Sparpfennige. Und: das Leben.

Nur Ihm und Seiner Familie geht es gut: sie haben von der gutmütigen Republik Vermögen und Möbel und Gold und Gut nach Holland nachgeworfen bekommen – und wollen noch immer mehr. Und bekommen auch immer mehr. Und verdienen im Ausland viel Geld mit Hetzbüchern, in denen die Heimat beschimpft wird. Und zählen ihr Gold.

Vielleicht sind meine beiden letzten Goldstücke darunter. Er soll sich in acht nehmen, wenn er sie ausgibt. Es klebt ein Fluch an ihnen.


  • · Ignaz Wrobel
    Freiheit, 07.08.1922.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 255-257.
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