Rote Melodie

[252] Für Erich Ludendorff

Gesungen von Rosa Valetti


Die Frau singt:

Ich bin allein.

Es sollt nicht sein.

Mein Sohn stand bei den Russen.

Da fuhr man sie,

wies liebe Vieh,

zur Front – in Omnibussen.

Und da – da blieb die Feldpost weg –

Haho! Er lag im Dreck.

Die Jahre, die Jahre,

sie gingen träg und stumm.

Die Haare, die Haare

sind grau vom Baltikum . . .

General! General!

Wag es nur nicht noch einmal!

Es schrein die Toten!

Denk an die Roten!

Sieh dich vor! Sieh dich vor!

Hör den brausend dumpfen Chor!

Wir rücken näher ran – Kanonenmann!

Vom Grab – Schieb ab –!


Ich sah durchs Land

im Weltenbrand –

da weinten tausend Frauen.

Der Mäher schnitt.

Sie litten mit

mit hunderttausend Grauen.

Und wozu Todesangst und Schreck?

Haho! Für einen Dreck!

Die Leiber – die Leiber –

sie liegen in der Erd.

Wir Weiber – wir Weiber –

wir sind nun nichts mehr wert . . .

General! General.

Wag es nur nicht noch einmal!

Es schrein die Toten!

Denk an die Roten!

Sieh dich vor! Sieh dich vor!

Hör den brausend dumpfen Chor![252]

Wir rücken näher ran, Kanonenmann,

zum Grab! – Schieb ab –!


In dunkler Nacht,

wenn keiner wacht –:

dann steigen aus dem Graben

der Füselier,

der Musketier,

die keine Ruhe haben.

Das Totenbataillon entschwebt –

Haho! zu dem, der lebt.

Verschwommen, verschwommen

hörst dus im Windgebraus.

Sie kommen! Sie kommen!

und wehen um sein Haus . . .

General! General!

Wag es nur nicht noch einmal!

Es schrein die Toten!

Denk an die Roten!

Sieh dich vor! Sieh dich vor!

Hör den unterirdischen Chor!

Wir rücken näher ran – du Knochenmann! –

im Schritt!

Komm mit –!


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 03.08.1922, Nr. 31, S. 122, wieder in: Mit 5 PS.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 252-253.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Die beiden betuchten Wiener Studenten Theodor und Fritz hegen klare Absichten, als sie mit Mizi und Christine einen Abend bei Kerzenlicht und Klaviermusik inszenieren. »Der Augenblich ist die einzige Ewigkeit, die wir verstehen können, die einzige, die uns gehört.« Das 1895 uraufgeführte Schauspiel ist Schnitzlers erster und größter Bühnenerfolg.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon