Zuschauer

[229] Aber wir lassen es andre machen.

Fontane


In Oberammergau in weiter Halle

sitzt ebenso erschüttert wie geneppt,

die Menschenschar bei dem Posaunenschalle

und sieht, wie man den Christ zu Kreuze schleppt.

Sie lauschen jenem großen Oratorium.

Ungläubige spenden Gläubigen Applaus.

Ein paar acteurs. Ein Riesen-Auditorium.

Sie sehn nur zu. Tun nichts. Und gehn nach Haus.


Es dampft Berlin. Bei schönstem Sommerwetter

ist knackend voll der ganze Sportpalast.

Das macht: Es boxt doch heute Breitensträter!

Na Mensch, wenn du das nicht gesehen hast!

Die Frauen schaun verzückt ein Suspensorium.

Die Männer boxen nicht. So sehn sie aus –!

Ein paar acteurs. Ein Riesen-Auditorium.

Sie sehn nur zu. Tun nichts. Und gehn nach Haus.


Wir sind zweihundert.

Seit vier deutschen Jahren

schießt man uns einen nach dem andern ab.

Allein in Krach und Not und in Gefahren.

Schon liegen unsre Besten still im Grab.[229]

Wo seid ihr, Freunde? Müssens nur wir tragen?

Für wen wird eigentlich dieser Kampf geschlagen.

Bleibt das nun so? Ists nur ein Provisorium?

Wir stellen immer uns allein heraus.

Ein paar acteurs. Ein Riesen-Auditorium.

Sie sehn nur zu. Tun nichts.

Und gehn nach Haus.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 20.07.1922, Nr. 29, S. 64.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 229-230.
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