»Manoli linksrum –!«

[352] Das Leben ist nur noch in besoffenem Zustande zu ertragen.

Goethe


Ein friedlicher Herbstabend dämmerte auf die goldige Stadt Berlin hernieder, und dem Oberwachtmeister auf dem Potsdamer Platz war gerade der linke Arm eingeschlafen, der elektrische Bahnwagen Berlins trillerte sanft vorüber, ein Droschkenpferd ließ eine kleine Ruhrabgabe fallen, ein Auto rollte eilfertig und auf Geschäftsunkosten vorüber – da plötzlich brach etwas Schreckliches über die ahnungslose Stadt herein.

Sie wissen doch, daß die elektrische Reklame am Potsdamer Platz – ganz recht, gerade die über Josty, – daß die bisher von Herrn Andreas Kuhlow bedient wurde. Kuhlow war ein ehrsamer Bürger dieses Staates, ein bißchen doof, ein bißchen hinter den Damen her und meistens leicht angetrudelt. Aber seinen Dienst da oben, hoch über den Dächern, hatte er doch ganz gut versehen. Er pflegte da in einem kleinen Kämmerchen zu sitzen und emsig einen kleinen Hebel zu bewegen, der den Passanten die strahlenden Lichtbuchstaben zu vermitteln hatte: Zahnputzmittel, Südweine, Automobilreifen – was da so alles empfohlen wurde . . . Er tat das mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks und nicht ohne Phantasie. Einmal ließ er vier Zahnputzmittel und zwei Autoreifen aufleuchten, und dann wieder halbe Stunden lang nur Damenartikel und Schnäpse . . . Ja, Herr Kuhlow war nicht ohne. Das heißt: bis zu diesem Septemberabend war er nicht ohne. An diesem Abend war er auf einmal mit.

War es nun der Schnaps oder die letzte Rosaura, die Herrn Kuhlow beglückt hatte – er pflegte von ihr nicht anders als mit einem leichten Schnalzer zu sprechen –, am Abend des fünfzehnten schnappte er endgültig über, und es begab sich das folgende:

Herr Fondsmakler Berserker überquerte gerade den Potsdamer Platz und rechnete, zufrieden ein Liedchen trällernd, aus, was er im Laufe der letzten Stunden dadurch verdient hatte, daß er nichts verkauft . . . als plötzlich seine bildhübschen schwarzen Augen auf die leuchtende Inschrift da oben fielen:

HEIZE MIT KRIEGSANLEIHE!

Herrn Berserker fiel vor Schreck die goldene Brille aufs Trottoir. Wie –? Noch einmal hob er den Kopf und sah entgeistert nach oben, und nun war auch schon der ganze Platz aufmerksam geworden, viele blickten nach oben, da war es dunkel, und plötzlich wurde es wieder hell:

REGIERE MIT STRESEMANN!

Hallo! Da war etwas nicht in Ordnung! Rosselenker rissen an ihren[352] ehemaligen Rossen, dem Oberwachtmeister wachte der linke Arm auf, der elektrische Bahnwagen, den die Stadt Berlin übrig gelassen hatte, blieb mitten auf dem Platz stehen und repräsentierte so den berliner Verkehr. Oben tobte das Licht weiter:

POLA NEGRI – DER LEICHTE TOURENWAGEN

Allmächtiger Vater! Herr Berserker stand noch immer unten, sein glänzendes schwarzes, stets sorgfältig nach hinten gekämmtes Haar sträubte sich vorsichtig. Er bekam Bromsilberaugen und guckte und guckte – – –

KAHLBAUMS LIKÖR – DAS KOPFPFLEGEMITTEL

und

HUMAGSOLAN – DAS BESTE FÜR DIE ZÄHNE

und

FLATOWS BÖRSENTIPS SIND DIE BESTEN

Aber das ging doch zu weit! Eine Panik brach aus.

Herr Bezirkspfarrer Ringelnatz fiel in die Rettungssäule, die zum ersten Male in ihrem Leben aufging – die Scheiben splitterten – der Pfarrer fiel gerade auf die innen angebrachte Tragbahre und blieb gleich darin liegen – – der Wachtmeister tutete, Herrn Berserker rutschte ein Dollar aus der Tasche und eine Mark – der Dollar fiel auf die Erde, und die Mark stieg, vom Winde emporgeführt, nach oben – ein seltsames Naturspiel, dem aber jetzt niemand Beachtung schenkte . . . Beherzte Männer stürzten die Treppen hinauf, in das Kämmerchen zu Kuhlown.

Kuhlow schien noch nicht genug zu haben. Da las man:

STINNES – DER GROSSE ORIGINAL-MASCHINENAUFSAUGER

und

ASBACH URALT – DAS ZAHNWASSER DER ELEGANTEN WELT!

Die beherzten Männer fanden Herrn Kuhlow vor der Kurbel, dämlich vor sich hinlächelnd und selbst für die heutigen Verhältnisse heftig betrunken. Er lallte ununterbrochen vor sich hin: »Wenesti linksrum – Batschari rechtsrum – Manoli andersrum . . . !« – Man riß ihn von der Maschine.

Es war keinen Augenblick zu spät. Denn unten auf dem Potsdamer Platz war die Ehrenvorsitzende des ostpreußischen Heims zur Rettung gestrauchelter, wenn auch noch nicht gefallener Mädchen soeben in eine frische Ohnmacht gefallen, weil da oben zu lesen stand:

ES IST JA ALLES SCH – – – –

Was es alles ist, hat man nie erfahren. Herr Kuhlow wurde abtransportiert, und der Satz blieb unausgeleuchtet, im Dunkeln.

Fünf Minuten später lag der Potsdamer Platz wieder in idyllischer Ruhe, nur hier und da unterbrochen von dem gewaltigen Rollen des neu-berliner Verkehrs.


  • [353] · Peter Panter
    8-Uhr Abendblatt, 01.09.1923, Nr. 218.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 352-354.
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