Die Übersetzung

[532] Verbinden, verbindlich, Verbindung, verbissen, verbitten . . . verbittern . . . Verbitten? Gibts das überhaupt auf Französisch? Was steht da? »Verbitten, sich etwas von einem verbitten: prier q. de ne pas faire qc.« Und: »Das verbitte ich mir! Que cela n'arrive plus!« Das ist gar keine Übersetzung. Denn diesen deutschen Satz gibt es in keiner Sprache der Welt.

Wenn der Gerichtsschreiber Renkelstedt sonntags mit seiner Frau ausgeht, und wenn Herr Renkelstedt draußen auf der Plattform der Elektrischen stehen bleibt, weil er neben Frau Renkelstedt keinen Platz mehr gefunden hat, und wenn dann ein ›fremder Kerl‹ (auch ein Gerichtsschreiber – aber ein fremder – also: ein Kerl) Herrn Renkelstedt[532] auf die Plattfüße tritt, dann rollt Herr Renkelstedt die Augen, umgürtet sich mit Würde und einem Panzer und ›verbittet sich das‹. Verbitten ist das Gegenteil von bitten. Es bittet der Bettler um eine kleine Gabe, der Untergebene den Vorgesetzten um Berücksichtigung beim Weihnachtsurlaub, der Zivilist den Beamten, ihn nicht in die Backzähne zu schlagen, und so bittet einer den andern: aber es verbittet sich der Passant die Belästigung des – wahrscheinlich kommunistischen – Bettlers, der Vorgesetzte die Quengeleien seines Untergebenen und der Beamte den ›Ton‹ des Zivilisten. (Für ›Ton‹ stehen drei Bedeutungen im Lexikon und keine.) Verbitten heißt: die Zugbrücke aufziehen, die Mauerscharten besetzen und mit dem Schwert am Schilde rasseln. In »Ich verbitte mir das« ist so viel Armee, Offizierskasino und ähnlicher Unfug. »Ich verbitte mir das« heißt: Ich bin viel zu dumm, um dir vernünftig auseinanderzusetzen, daß ich recht habe; viel zu unhöflich, es dir in netter Weise zu sagen; viel zu lümmelhaft, um es auch nur zu versuchen. »Ich verbitte mir . . . «: das ist ein schöner deutscher Satz.

Die Franzosen, diese schlappen Kerle, haben nicht einmal eine anständige Übersetzung dieses Satzes: »Que cela n'arrive plus!« Daß mir das nicht mehr vorkommt! Das ist gar nichts. Das ist das ohnmächtige Gewimmer eines armen Hascherls. Bei uns wackelt die Wand! Das wäre ja jelacht! Wie heißen Sie? Nehmen Sie mal erst die Hand aus der Tasche, wenn Sie mit mir sprechen! Sie haben hier überhaupt nicht . . . verstanden! Was fällt Ihnen ein? Ich verbitte mir . . . Mit drei t.

Solange aber das Volk unter sich es sich verbittet, solange einer den andern – höchstes Ideal – so behandeln möchte wie Schmutz am Absatz, sodaß der Geschurigelte stumm und verbissen dazustehen hat, die Hände an der (innern) Hosennaht, schweigsam, dösig und vollkommen wehrlos: so lange wird es die regierende Schicht eben dieses Landes leicht haben, die Untergebenen, diese durch Geldmangel, Position und fehlende Bildung unterlegene Gruppe anzupfeifen, daß es die Englein im Himmel hören, und sie, mit dem unangenehmen Kneifer ganz nah am Gesicht des andern, anzubrüllen, wenn jene auch einmal das Recht zum hungerlosen Leben reklamieren: »Scheren Sie sich raus! Ich verbitte mir das!«

Bis – ewige Hoffnung – eine erwachte Nation den Herrn Verbitter am Kragen nimmt, ihm Hundert aufzählt und Tausend wegnimmt und leise sagt: »Damit mir das nicht mehr vorkommt –!«


  • [533] · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 23.12.1924, Nr. 52, S. 959.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 532-534.
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