Alter Kümmel

[162] Im Mauritius-Verlag zu Berlin ist vor drei Jahren ein merkwürdiges Buch erschienen, das man, hat man es sich einmal angeschafft, jedes Jahr gern wiederansieht. Es sind dies: ›Die Schwänke des Rheinländischen Hausfreundes‹ von J. P. Hebel, mit 32 Originallithographien von Dambacher.

An Hebel haben sich ja schon alle germanischen Schmierer der nationalen Zeitungen die Finger abgewischt, was ihm aber nichts geschadet hat. Er ist bestes Deutschtum und so himmelweit verschieden von dem bramsigen Geschwätz dieser Promenadenmischung wie etwa Klaus Groth von Gorch Fock. Ihr wißt ja alle, wie Hebel bewußt für minder Studierte geschrieben hat: mit dem ganzen Gefühl, das der Rheinländer für den Humor hat, klar, sauber und in fast jeder dritten Erzählung an die höchsten epischen Leistungen, ja, an Kleist, streifend. Dieser Band enthält ausgewählte Schwänke. Aber wer ist Dambacher –? Ich bin ein harmloser Kunde und habe nie gefälschten Kaffee verkauft und auch keine Kunstgeschichte studiert. Wenn man diese eigentümlichen Zeichnungen sieht, zu denen ich keinen Parallelfall weiß, so wäre da etwas zu sagen von: atmosphärische Mosaiks, malerische Werte der gefühlten Natur, Sensibilität einer visionären Maurerkelle, und was man sonst noch so fürs Haus braucht. Hebel hat deutsch geschrieben – versuchen wirs auch.

Diese Lithographien sind von einem Maler gemacht, der nicht ordentlich hat zeichnen können. Seine Kinder sehen zum Beispiel alle aus, wie Erwachsene von fern gesehen – für die Jugend hat Herr Dambacher eine eigne Kinder-Perspektive. Und fast alle handelnden Personen[162] sind, fratzenhaft gesehen, etwas bösartig, der Zeichner hat sich darin gefallen, die ganze Vermurkstheit eines Ochsenknechts, eines Amtsdieners, eines Chirurgus aufzuzeigen. Es ist etwas ganz Seltsames.

Aber Dambacher hat nicht nur illustriert, sondern er hat zu fast jeder Geschichte noch etwas Eignes hinzugetan. Beim Herrn Magister sitzt noch die Frau Magister, von der Hebel nichts sagt, eine ganz entfernte Großtante des jungen Beardsley; Wirtshausgäste wimmeln auf allen einschlägigen Blättern herum, die unglaublichsten Pflanzen, wie sie nur ein sehr einsamer Mensch zeichnen kann – sicherlich war Dambacher ein Wirtshausbesucher, der jeden Abend kümmelgeschlagenvoll nach Hause ging, mit sechs Kumpanen, so sind wir Psychologen –; ein Hatschier steht und sieht zu, »wie einmal ein schönes Roß um fünf Prügel feil gewesen ist«, und hat in seinem Gesicht die ganze Stur- und Stumpfheit einer gehorchenden Amtsperson, die sich für ihren bezahlten Gehorsam an den Untertanen rächt; die Verbrecher sind Kobolde; als sich zwei Schlafkameraden, Herr und Diener, gegenseitig in der dunklen Angst der Nacht packen und prügeln, hat er sie gezeichnet, als just der Wirt (Oscar Sabo) hereinkommt und sie grinsend beleuchtet: sie sehen sich an, doof, mit aufgerissenen Augen – und der Diener macht eine enttäuschte Schnute; viele Leute haben keine untere Gesichtshälfte mehr geliefert bekommen, fühlen sich aber auch so ganz wohl, und überall ist der Himmel weißblau; hart und scharf stehen die Gebäude wie etwa in einer Stadt der Ostsee an einem schönen Sommertag. Und seltsam, wie sich Hebels Thema beim Zeichner wiederholt, er schlägt es irgendwo in einer Ecke als Stimme der linken Hand noch einmal an: über dem Mann, der sich einen Drachen in den Bauch hypochondert hat, fliegt der Papierdrache eines Knaben; da, wo im Wirtshaus der Offizier den Löffeldieb abführt, richtet ein Kind einen Hund ab, der macht schön, mit einem Löffel im Munde . . . ich habe solche Bilder noch niemals gesehn.

Übrigens kann man – wie sich das für ordentliche Illustrationen gehört – mit dem Finger auf ihnen herumfahren und sich alle Einzelheiten der Geschichte beangucken: der ist der Zundelfrieder, und das ist der betrogene Goldschmied, und das sind die Gerichtspersonen . . . Die Blätter sind viel besser als die Holzschnitte der Zeitschrift, in der Hebels Geschichten erschienen sind. Diese himmlischen Erzählungen, die die Moral mit ›Merk‹ gleich angehängt bekommen, und deren eine zum Beispiel so schließt: »Dies Stücklein ist noch ein Vermächtnis von dem Adjunkt, der jetzt in Dresden ist. Hat er nicht dem Hausfreund einen schönen Pfeifenkopf von Dresden zum Andenken geschickt, und ist ein geflügelter Knabe darauf und ein Mägdlein, und machen etwas miteinander. Aber er kommt wieder, der Adjunkt.«

Merk: Man sollte sich das Buch anschaffen.


  • [163] · Peter Panter
    Die Weltbühne, 14.07.1925, Nr. 28, S. 71.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 162-164.
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