Das Siebente

[209] Mit den Arrondissements in Paris ist das nicht so wie mit der ›Gegend‹ in Berlin. Wenn einer vor Hunger nicht krauchen kann, so zieht er um des Himmels willen nicht aus der Geisbergstraße hinter den Alexanderplatz, weil ›man in der Gegend doch nicht wohnen kann‹ – obgleich die Leute hinter dem Alexanderplatz mindestens so viele Vermögen aufzuweisen haben wie der Kurfürstendamm, nur besser fundierte. Mit einem Wort: pariser Arrondissements sind kleine Städte. Le quartier hat sein Kino, sein Theater, seine Stammeinwohnerschaft, seinen Charakter. Es gibt, zum Beispiel, auf dem linken Ufer, um die rue de la Convention, kleine Straßen und Plätze, die so nach Kleinstadt schmecken, nach Weltabgelegenheit, nach stillen Kleinbürgern . . . Wenn aber einer von uns beiden stirbt: ich zieh ins Siebente.

Das Siebente liegt auf dem linken Ufer. Es ist ein großes rechtwinkliges Dreieck, mit der gebogenen Hypotenuse an der Seine, vom Eiffelturm bis zur Gare d'Orléans, und mit den Katheten der Avenue Suffren und einer Linie, die etwa vom Quai Voltaire bis zur Untergrundbahnstation Sèvres – Lecourbe führt. Da ist die Spitze.

Es hat von allem etwas:

Das schöne Champ de Mars, mit den vornehmen Straßen; von den obern Stockwerken aus sieht man über die weiten buschigen Flächen und die hohen Bäume, die bunten Anlagen vor der École Militaire, daran stille Alleen entlang führen, abends klappert der Maschinist in der kleinen Elektrizitätsbude auf dem Turm die ganze Lichtreklame herunter, und die Mieter können stolz sagen: Eignen Eiffelturm im Hause . . . Hier wohnen auch feine Leute, Finanz, Beamte und sogar ein deutscher Legationsrat. Und dann ist da der Dome des Invalides, der so still und weit auf die Seine hinausguckt, besonders, wenn nicht gerade Ausstellung gespielt wird, und östlich davon eine Menge kleiner Straßen, und die meisten sind still. Das war ›le noble faubourg‹, und heute liegt da noch ein Stück des Boulevard St.-Germain, in dessen Salons Proust so gut Bescheid wußte und so verdünnt darüber schrieb, und in dem die deutschen Schmöcke gar nicht Bescheid wissen und so verdickt darüber schreiben . . . Eine Fülle von alten Palais liegt in diesem Teil der Stadt, keines hat die Fassade auf die Straße, alle verbergen Fronten, Vornehmheit und Architektur; die lange Straßenmauer schließt die Welt ab, und jene andre beginnt erst hinter dem großen Einfahrtstor.

Gleich hinter der Chambres de Députés fängt die Stille an, und alles, was um die Kirche Ste.-Clotilde herum liegt, hats gut: es ist mitten in der Stadt, und doch gehts da leise zu.

Ein feiner grauer Steinton ist in diesem Arrondissement, alles[209] ist getönt, zart und doch kräftig. Wenn man schon in der großen Stadt wohnen muß, dann hier.

Du Unbekannte, die du mir einst dein ganzes Vermögen vermachen wirst, weil du dich seit zwölf Jahren allwöchentlich einmal mit der ›Weltbühne‹ zurückgezogen hast, hör mich an. In Paris, wohin meine Sehnsucht mich ruft, kann man keine Wohnungen mieten. Man muß sie kaufen. Laß es so viel sein, daß ich im Sommer in Dänemark leben kann, an den grünen und blauen Seen, wo die Butter und die Damen so frisch sind, daß man nie mehr Margarine essen mag – im Winter will ich eine Stadtwohnung haben. Darin soll dein Name gesegnet werden für und für, denn du wirst eine bessere Wohltäterin sein als Hebbeln seine. Vergiß es nicht: in Paris. Im Siebenten.


  • · Peter Panter
    Die Weltbühne, 08.09.1925, Nr. 36, S. 389, wieder in: Mit 5 PS.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 209-210.
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