Durcheinander

[252] Hering ist gut, Schlagsahne ist gut. Wie gut muß erst Hering mit Schlagsahne sein –!


Am Place de la Concorde fragte ich einen Schupomann: »La rue de Rivoli, s'il vous plaît?« – »Da gehn Sie man hier gleich rüba!« sagte der. »Aber immer schön auf dem weißen Strich –!« Es war gar keiner da, kein weißer. Aber ich bog wirklich in die lange Straße ein, und da war das Warenhaus. Vor dem ersten großen Schaufenster stand eine zierliche Blondine. Original-Blondinen sind so selten – ich habe eine Brünette doppelt, vielleicht kann man tauschen . . . ? »Verzeihung!« sagte ich, »gestatten Sie vielleicht, daß ich Sie anspreche –?« Die Blondine hatte hinten am Nacken dunkle Härchen und sah mich erstaunt an. »Qu'est-ce qu'il mechante, celui-là?« sagte sie. Ganz verwirrt trat ich zurück, einem älteren Major von der Reichswehr, mit dem Bändchen der Ehrenlegion im Knopfloch, genau auf die Lackstiefel. »Pardon –!« sagte ich. »Wollen Sie bitte mit mir deutsch sprechen?« sagte er. Was ist das –?

Also Socken. Socken im Warenhaus sind immer woanders, man muß sich herauf- und herunterbemühen, und das tat ich. »Gute, dicke, grauwollene Socken«, sagte ich. »Monsieur?« lächelte die kleine Verkäuferin. »Nee Socken – nich Mißjöh! Was ist denn hier ––!« – »Monsieur est Anglais?« sagte die kleine Verkäuferin. »Un interprète . . . «[252] Da stand ich wie Pröppke auf dem Witwenball und wußte nicht ein noch aus. Aber sie mußte doch verstanden haben, was ich meinte, denn ich hatte so in den Socken herumgekramt, und sie wickelte mir ein Paar ein. Sie sahen aus wie Fausthandschuhe.

»Et avec ça –?« sagte die kleine Verkäuferin. Da nahm ich die Socken und lief davon, und alle Leute hinter mir her, aber ich entkam glücklich durch einen Notausgang in die Damentoilette und von da auf die Straße.

»B.Z.!« rief ich zu einem Zeitungsverkäufer. »Paris-Soaaaah!« hauchte er mich an. Und ich wich erschrocken zurück. Wo war ich hier –? Das werden wir gleich haben. »La Tour Eiffel?« fragte ich einen jungen Menschen, der mit einem Paket hinter mir ging. »Dir ham se woll mit'n Klammerbeutel jepudert –?« fragte er mich. Aber ich verstand ihn nicht. Und da hing ein Plakat, daß Dranem heute abend auftrete, aber er hatte die Züge Max Pallenbergs – und die Raquel Meller hing da, und darunter stand: Fritzi Massary . . . Was war das –?

Nun gingen da Pfadfinder und ein paar Engländer mit Hosen, in denen sie offenbar ihre Reisenecessaires untergebracht hatten, so weit waren die, und eine rundbusige Dame zwinkerte so mit den kleinen Äuglein . . . Ich war gerade dabei, mich zurechtzufinden, da fuhr ein Wagen vorüber, eine schöne Limousine. Halt! die Straße war versperrt, der Wagen hielt. Darin saß ein Mann, den kannte ich – das war Herr Painlevé. Ich konnte hören, wie er zu seinem Begleiter sagte: »Hier stehe ich – ich kann nicht anders . . . « Aber das hatte doch ein anderer gesagt! Das hatte doch . . . Wer war dieser Mann –?

Und da kam ein Lümmel die Straße heruntergefegt, er trug eine Zigarette hinterm Ohr und pfiff: »Wenn du meine Tante siehst – complimente – la de ma part!« Allmächtiger Nelson! Wo war ich –?

Ich war im Whisky-Nebel. Und hatte das Ideal der Ideale erträumt: Paris an der Panke.


  • · Peter Panter
    Vossische Zeitung, 07.11.1925.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 252-253.
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