Herr Wendriner läßt sich die Haare schneiden

[221] Für Morus


»Entschuldigen Sie mal – ich war zuerst dran! Allerdings warte ich länger wie Sie, Herr! Allerdings T –! Haare schneiden, hinten recht kurz wie gewöhnlich, was? Und nicht soviel Pomade wie voriges Mal, Sie haben mir das ganze Hutleder verdorben! Warten Sie mal – ich will mir erst'n Krahrn abbinden . . . So. Ja. Na, was Sie haben – Illustrierte oder irgend ne Zeitung – is egal. Ja – ›Lokalanzeiger‹. Gehm Se her. Nee – hab ich nicht gelesen. Ach, das? Olle Kamellen, stand ja heute schon in der ›B.Z.‹. Nö – find ich gar nicht – mir können die Franzosen nicht imponieren. Falsche Bande. Paris ist nicht zu trauen. Ihre Maschine ziept. Meines Erachtens nach ist der Handelsvertrag gar nicht nötig mit den Leuten – immer rankommen lassen! Die Leute wem schon kommen, wenn sie uns brauchen. Autsch! Schlechtes Bild von Eckener. So sieht er gahnich aus. Nee – ich habn nich gesehn. Kolossale Leistung von dem Mann – darauf können wir direkt stolz sein. Hier vorn auch noch 'n bißchen, was? Der Mann hat was geleistet für das ganze deutsche Volk. Sehn Se sich vor da hinten, da hab ich immer meine Furunkeln. Nee, den Eckener macht uns kein Mensch nach. Passen Sie auf, der wird noch mal nach dem Nordpol fliegen. Kolossaler Rekord. Gestatten Sie die ›Lustigen‹, Herr? Danke sehr. Bitte sehr. Danke sehr. Ach – die Nummer kenn ich. Na, dann wer ich man 'n ›Lokalanzeiger‹ weiterlesen. Die ›Lustigen‹ sind frei – ja. Das neue Rußland. Denkmalsenthüllung des Arbeiterdenkmals . . . Faule Bande. Die Leute sind heute an der Macht – jetzt genießen die eben. Natürlich sollte man ein Bündnis mit Rußland schließen – sehn Se mal: wenn England gegen Rußland wegen Indien geht, dann muß Deutschland Rußland helfen. Dann kriegt Frankreich die Platze. Das ist mal klar. Na und hinterher – da wem wir die Brüder schon einseifen. 'n Abend, Herr Welsch! Na, Sie auch hier? Ja, Sie müssen noch warten – hier ist Hochbetrieb. Wozu zwei Handtücher? Ihr habts ja! Ach so, fürn[221] Hals! Na, Herr Welsch, wie gehts denn? Danke, es geht. Was macht Ihre Frau Mutter? Noch immer krank? Gott, ne alte Frau . . . Wir hatten mal ne Großtante bei uns, die lebte bei uns, bis sie starb, die sagte immer, wenn mal Krach war: ›Wer weiß, wie lange ihr mich noch habt –!‹ Na, wir hatten sie ziemlich lange . . . Ich sage eben zu Lauch: Wir müßten 'n Bündnis mit Rußland schließen. Meinen Sie nicht auch? Nicht wahr? Selbstverständlich. Ausgeschlossen. Na, ohne alle Frahre. Wieder Lohnerhöhung? Die Leute sind ja verrückt. Ham Sie ganz recht: man hat leider viel zu wenig an die Wand gestellt. Ich bin gewiß für sozial, ich meine, die Leute müssen ihren Lohn haben, aber sie können uns doch nicht erwürgen. Die Leute richten ja den gesamten Mittelstand zugrunde. Natürlich, die Industrie doch auch! Woher soll denn das alles kommen? Sie, daß mir das nicht auf die Stiebel trippt, Ihre Teerseife! Und nach dem Schampuhn mit was Scharfem. Buff . . . Aaah – das tut wohl. Sehn Se mal, hübsches Mädchen, was? Schade, daß das Bild da schon aufhört. Hähähä . . . Sie! aber ordentlich nachtrocknen, man holt sich ja den Tod mit dem nassen Kopf. Was? Wie? Direkt vor Ihrem Haus? Ein ganzer Trupp Reichsbanner? Nee – ich habe meinem nicht erlaubt, daß er dabei ist! Hat er nötig, sich auf der Straße rumzuschlagen! Bloß keine Extreme! Überhaupt: Politik gehört nicht auf die Straße. Sehr richtig – und die Jugend nicht in die Politik. Haben wir in unserer Jugend Politik getriebene Und wir sind auch was Anständiges geworden. Sehr richtig. Was meinen Sie, was die Reklame hier kostet – eine ganze Seite! Mindestens achthundert Mark! Na, natürlich. Die Leute müssen verdienen . . . So – jetzt ham Sie mir glücklich die Kappe verrutscht . . . nein! noch nicht die Kappe! – ich hab Ihnen doch gesagt, mit was Scharfem! Nicht Ihr Zeug, das stinkt so. Nehm Sie doch von meinem Haarwasser . . . schon wieder alle? Herrschaften, ich glaube, ihr trinkt das aus! Kucken Sie mal, Welsch, die Negri ist wieder nach Amerika gefahren. Sehr pikante Person. Nee, leider nicht, kleiner Schäker. Ja, hab ich auch gesehn. Bei Reinhardt. Wunderbare Aufführung, Wissen Sie, die Aufführungen bei Reinhardt sind immer wunderbar. Erstklassige Besetzung hat der Mann. Sicher 'n Geschäft. Haben Sie das auch gelesen? Ich bin dagegen. Wieso? Würden Sie sich mit der Politik das Geschäft verderben lassen? Na also. Politik gehört nicht ins Geschäft. Nein, auf 'n Rennplatz auch nicht. Ich wer Ihnen sagen, wo sie hingehört: Da wo sie hingehört, gehört sie hin! Früher hat sich kein Mensch um den ganzen Klimbim gekümmert, und es ist auch gegangen. Ich geh heut abend noch aus . . . Wo ist denn mein Schlips? Wo ist denn mein Schlips? Sie – wenn Sie mir den in Ihre Seifensuppe . . . nein, ach, da ist er ja. Na, dann lassen Sie sich man schön machen. Hier, das ist für Sie. Nichts zu danken.[222]

Erhöhung der Eisenpreise? Nee, hab ich noch nicht gehört. Sie, lesen Sie mal da hinten, hier, nein, da, Herrgott, sind Sie ungeschickt! Hier! Lesen Sie mal da den Artikel mit der Amerikanerin, die drei Männer auf einmal gehabt hat . . . Sehr interessant. Vorhin habe ich eine junge Person gesehen, die hatte den Rock bis dahin hochgeschlagen gehabt; beim Sitzen, wenn ein Windstoß kam, sah man die ganze . . . Herrgott! Dreiviertelsieben! Ich erzähl Ihnen ein andermal weiter! Ich hab heute abend noch was vor. Auf Wiedersehn, Herr Welsch! 'n Abend! 'n Abend! Das ist ne Tür, Herr! Die ist zum Rausgehn! 'n Abend! 'n Abend!«


  • · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 22.09.1925, Nr. 38, S. 461.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 221-223.
Lizenz:
Kategorien: