Drei auf dem Bodensee

[511] Er:

ist ein Geschäftsmann auf Urlaub. Über dem harten Kinn ist der Mund wie ein Säbelschnitt eingehauen – mit ihm Kirschen essen und Geschäfte machen muß kein Vergnügen sein. Die grauen Augen erstaunen nicht mehr – dahinter denkt es noch weiter, wenn auch das Schiff schon im Sinken wäre. Es sinkt aber nicht. Auf den großen Händen mit den Sommersprossen wachsen rötliche Härchen. Der Mensch ißt gut, er fühlt sich gesund, kräftig, im Vollgefühl einer Macht. Ich weiß nicht, welcher. Jetzt sitzt er auf der langen Bank an der Bordbrüstung, leicht angelehnt, manchmal sieht er auf seine kleine Familie, und seine freundlichen, erbarmungslosen Augen lachen alle aus, die da vorüberziehen: die aufgeregte dicke Madame, die[511] einen Koffer, zwei Schirme und ihre Seelenruhe verloren hat; den Mann, der schon zum zweitenmal das Schiffsmenü herunterißt; eine Mama, mit einem Hühnerhof voller Kinder, die sie laut umgackern. Er hat nichts verloren, er will jetzt kein Menü, ihn umgackert nichts. Er ist auf Urlaub, atmet die freie Seeluft ein. Sieht kaum auf die Seeufer, die da vorüberziehen – jedesmal steht ein Zollmensch am Landungssteg und spielt: Staat. Interessiert hierorts nicht. Er ist auf Urlaub. Aber bis zu mir herüber vibrieren noch die in der Stadt angeschlagenen Nerven, wittern Gegner, Widersacher, wollen kämpfen . . . Er kann noch nicht lange von Hause fort sein. Es macht noch in ihm: Tack-tack . . . Manchmal sieht er auf

Sie.

Sie ist gut und gern ihre hmzig Jahre alt, aber nur, wenn sie so den Kopf dreht – so, wie jetzt –, dann fällt das glänzende Wellenlicht zu scharf auf den Puder. Aber wenn sie anders herum sitzt, das ist schon etwas anderes! Das ist eine Frau in den besten, aber schon in den allerbesten Jahren – neben ihr steht, in Leder gehüllt, das Bündel Golf Schläger. Sie weiß, was sie will. Sie hat: abends ein gutes Hotel, in das sie mit kühlem Gruß eintritt, Schlafzimmer, Badezimmer, morgens den Tee – dann Golf – dann Frühstück – dann den riesigen Wagen, der langsam vor die Hoteltür gebrummt kommt – abends das Essen, etwas Tanz . . . Seltsam, wie ihr Gesichtsausdruck vom Licht umgeformt wird, wie das hin und her spielt . . . Freundin ist sie jetzt, Freundin des Mannes; dann: Dame, glatt, undurchdringlich; einmal ein kleiner Blitz aus den Augenwinkeln – ah? Und in allem eine so ruhige Selbstverständlichkeit, die sich über nichts wundert, weil alles vorhergesehen ist. Sie hat das Leben so fest in der Hand wie das Lenkrad ihres Wagens. Sie trägt große Lederhandschuhe. Und nun auf einmal ist sie nicht mehr Freundin, nicht Dame, nicht jenes andere – jetzt ist sie Mutter. Sie spricht mit ihrem Jungen.

Es

ist etwa elf Jahre, sieht blond und englisch erzogen aus, sauber gebadet, gerade an der Grenze entlangkippelnd, wo das spielende Kind ganz leise schon in den Rayon für Männer herüberblinzelt. Es hat eine breite Nase, ein klein wenig ungelenke Gelenke, vereselt sich schon oder noch und befühlt sachverständig die Golfschlägergriffe. Es kennt das Leben von Papa und Mama nur von der mühelosen Seite, hat es nicht miterwerben helfen, es wunderte sich nur, wenn es nicht so wäre. Das gibt ihm einen fast grausamen Zug um die Jungenslippen: es kann maßlos verachten, auch schon ein bißchen quälen, wer gerade da ist, ein Tier, einen Spielkameraden . . . Dem flößt kein Geschäftsführer des Hotels mehr Angst ein. Der kann schon befehlen.

Und ein Band umschlingt alle drei – das Band des jahrelangen Zusammenlebens, Reisen, Essen, die Mauer des Geldes und der Geltung.[512] Sie benehmen sich so ruhig, so unauffällig, so leise, wie man das nur tut, wenn man sehr, sehr viel ist. Es sind kleine Könige mit zahllosen kleinen Reichen, die man überall aufrichten kann, wo es einem beliebt: in Rorschach und in St. Moritz; in Scheveningen und in Biarritz. Kulissen, die man wählen kann. Drei Augenpaare sehen ruhig auf die kräuselnden Wellen des Kielwassers. Sie sitzen acht Schritt von mir entfernt, und sind zwei Welten weit. Glückliche Reise –!


Übrigens soll man Fahrtgenossen nicht so scharf ins Auge nehmen.


  • · Peter Panter
    Die Dame, Okt.1926, Nr. 2, S. 2.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 511-513.
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