Fort mit dem Schundgesetz!

[533] Gegen das schlechte und böswillig eingebrachte Schund- und Schmutzgesetz haben sich viele Stimmen ernsthafter und berufener Leute erhoben – es besteht also alle Aussicht, daß es im Reichstag angenommen wird. Das darf nicht sein.

Mit welchem frechen Leichtsinn hier von den sogenannten Gesetzgebern verfahren worden ist, zeigt die Tatsache, daß in der Entwurfsliste der Indexwerke Romane von Zapp, Dominik, Hackländer und Hauff enthalten waren, daß diese Romane von über dreihundert deutschen Tageszeitungen veröffentlicht worden sind, und zwar von Blättern aller Richtungen: von der ›Germania‹ bis zur ›Berliner Morgenpost‹. So wird hier gearbeitet.

Das Gesetz verdankt der beispiellosen Naivität des Sozialdemokraten Heinrich Schulz seinen Ursprung, obgleich der die exceptio plurium geltend machen kann. Aber soll sich durch Kautelen jemals erreichen lassen, daß dieser Fetzen von Gesetz durch eine deutsche Verwaltungsbehörde nicht mißbraucht wird? Um das zu glauben, dazu gehört schon eine jahrzehntelange Vorbildung als Parteifunktionär. Wir andern sind nicht so pflaumenweich gläubig.

Denn schon wird der Schwerpunkt der Diskussionen auf diese Kautelen gelegt – schon wird eine Reichskommission gefordert, Einstimmigkeit bei der Abstimmung und ähnliche Kindereien, die nichts helfen werden. Das ganze Gesetz hat zu fallen.

Dieser Staat ist in seiner jetzigen Form weder legitimiert noch befähigt, Kulturgesetze zu erlassen; die tiefe Spaltung, die durch die Nation geht, hat in ihm keinen Niederschlag gefunden; er tut noch immer, als habe ers mit einer einigen Nation zu tun. Das ist nicht wahr. So wenig, wie der Oberreichsanwalt, der Reichspräsident, der Reichsinnenminister die ganze Nation vertreten, so wenig täte das einer der von den Soldaten hingemordeten Revolutionäre. Hier gibt es kein Kompromiß.

Und weil dieser Zwiespalt nicht zu lösen ist, weil diese farblose und öde Gesetzesmaschine die subtile Frage: Bewahrung der Kinder vor Schund nicht sauber und gut zu lösen vermag – deshalb soll sies nicht schlecht tun und solls nicht so tun, daß dabei ein dunkler und übler Nebenzweck, nämlich eine politische Zensur mitaufgerichtet wird. Es gibt keine Schutzbestimmung gegen den Mißbrauch dieses Gesetzes – keine einzige. Die Taktiker werden, zu spät wie immer, merken, was[533] sie angerichtet haben. Sie haben es nicht gewollt? Sie sehen nicht über die Türflügel ihrer Kommissionszimmer hinweg.

Wer von den Linksparteien sich bei diesem Gesetz nach berühmten Mustern der Stimme enthält, wer nicht dagegen stimmt, der lügt den Willen seiner Wähler um, die keine Zensur wollen. Der Schundentwurf darf in gar keiner Form Gesetz werden – denn die Bewahrung einer ausgepowerten, wirtschaftlich rechtlosen Jugend vor ästhetischem Schmutz ist lange nicht so wichtig wie das kleine Eckchen Geistesfreiheit, das noch da ist. Laßt euch nicht einschläfern: die neunmal Weisen werden die Dummen sein. Was gebührt diesem Entwurf –?

Ein Fußtritt.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 02.11.1926, Nr. 44, S. 704.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 533-534.
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