Gebrauchen Sie einen Bade-Thermometer?

[538] Zu jener Zeit, als ›das Bad am Samstagabend‹ noch eine große Sache war – so mit Badeofenvorherheizen sowie Ausräumen der Wanne, in der immer altes Gerümpel stand, wenn sie nicht mit einem schönen, gestickten Tuch überdeckt war – zu jener Zeit hatte man ein Bade-Thermometer. Wenn die alte Kanonenröhre von Badeofen gurgelnd und zischend das heiße Wasser hergab, so wurde das hölzerne Ding ins Wasser getunkt, herausgezogen, nachgesehen, wieder hineingesteckt; kaltes Wasser wurde dazugetan und heißes abgelassen, bis genau jene vom ›Hausbuch für gesunde Familien‹ angeratene Temperatur erreicht war: 29 Grad. Es war furchtbar aufregend.

Dann wurden die Zeiten schwerer: der Diskont wurde heraufgesetzt, die allgemeine Sittlichkeit ging bedenkliche Wege, und die Leute fingen an, oft und öfter zu baden. Es kam jene Zeit, wo es fein war, in gefälliger Form Witze darüber zu machen, daß man gebadet habe, sehr wohl wisse, daß es zu tun richtig sei – aber man tat so, als habe man nicht . . . Dann sprach überhaupt kein Mensch mehr vom Baden, alle badeten. Alle baden. Gut.

[538] Was aber Allgemeingut und Alltagsgut wird, das verliert Feierlichkeit und Formalität – und so, wie sich heute nur noch wenig Menschen des Hexameters bedienen, so bedienen sich immer weniger Leute eines Bade-Thermometers.

Von medizinischen Bädern sei hier abgesehen. Aber: benutzen Sie ein Bade-Thermometer –?

Leute, die ein Bade-Thermometer benutzen, sind sehr ›eigne‹ Leute – dieses Wort reicht von ›sorgfältig‹ bis ›egoistisch‹. Sie wollen es ganz genau wissen; stehen ihnen dreiunddreißig Grad zu, dann sollen es nicht einunddreißig sein – und sie haben sich so lieb . . . ! Sie nehmen das Bad ernst.

Wobei denn also die feinere Menschheit in zwei Klassen einzuteilen wäre: in die Bade-Thermometristen und die A-Thermometristen (Alpha privativum).

Die mit dem Thermometer hat das Automatenleben noch nicht herunterbekommen. Für sie ist das Bad noch ein Bad, eine gediegene Sache, die jedesmal aufs neue mit der gebührenden Wichtigkeit abgewandelt wird – die Augen prüfen die Quecksilberskala, die Lippen schmecken das Wasser ab – »Ich werde noch eine Kleinigkeit warmes Wasser hinzutun«, spricht der Badgourmand. Wenn sie das Bad so sorgfältig vorbereiten, dann werden sie es wohl auch mit dem Rest ähnlich halten: ihr Geburtstag wird ein Geburtstag sein, ganz echt und richtig: mit Lichtern und einer leicht verhaltenen Feiertagsstimmung und jenem dämlich-komischen Gefühl, das Geburtstagskinder die Glückwünsche anderer so entgegennehmen läßt, als handelte es sich um ein, wenn auch bescheidenes, Verdienst . . . Eine Reise ist eine Reise: mit ernsten, vorgefaßten Plänen, mit zweckentsprechender Belehrung, aber auch hier und da eingestreutem Naturgenuß, mit vorher geregelter Pension (morgens zwei Eier) und garantiert rauschendem Wasserfall. Ein Geschäft wird ein Geschäft sein, eine Gerichtsverhandlung eine Gerichtsverhandlung – alles ganz richtig. Ernst ist das Leben.

Die ohne Bade-Thermometer – –

Das sind Leute, die den täglichen Mechanismus schon nicht mehr so ernst nehmen; die jeden Morgen baden und mal rasch mit der Hand durchs Wasser fahren, obs schon gut ist (es gibt da nur Extreme: bliebe die Hand im Eis stecken, ist es zu kalt – geht die Haut ab, dann ist es heiß). Aber die ohne Thermometer sind Leute, denen der tägliche Ablauf der technischen Wunderbegebnisse nichts mehr bedeutet – so, wie sie, niest einer, nicht mehr sagen; »Helf Gott«, so fliegen sie, hören Radio ab, lassen sich die Nase verschönern . . . Es ist ihnen selbstverständlich geworden.

Ihre Hand ist für Feinheiten abgestumpft, sie haben keine Zeit, mit ihren Nerven auf Gradunterschiede zu reagieren, weil es nicht[539] lohnt. Es ist Kräfteersparnis, privates Taylor-System, kürzester Weg zwischen zwei Punkten: die gerade Linie. Die ohne Bade-Thermometer haben ein altfranzösisches Wappenschild, auf dem steht:

»Moi je m'en fous!«

Solange der Badeofen nicht explodiert, das Amerikaschiff nicht untergeht, der Flieger nicht kleine Personalböen einlegt – solange ist es ihnen gleich, sie nehmen es hin. Windhunde. Heiter ist die Kunst.

Goethe hat ein Bade-Thermometer benutzt, Schiller desgleichen – auch Karl der Dicke sowie, vorkommendenfalls, der Turnvater Jahn. Von lebenden Schriftstellern benutzen . . .

Nein. Man möchte ja auch mal in die Akademie kommen.

Immerhin ist dieser Gegenstand ein untrügliches Zeichen für die Form eines Charakters. Und ich kann mir sehr gut denken, daß der Bräutigam, anstatt den Graphologen aus dem Tintensatz lesen zu lassen, zur künftigen Braut leise, aber ernst spricht:

»Eine Frage, mein Fräulein. Benutzen Sie ein Bade-Thermometer –?«


  • · Peter Panter
    Vossische Zeitung, 14.11.1926.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 538-540.
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