Confessio

[160] Wir Männer aus Berlin und Neukölln,

wir wissen leider nicht, was wir wölln.

Mal . . .


Mal konzentrieren wir uns auf die eine,

spielen mit ihr: die oder keine,

legen uns fest, ohne Bedenken,

wollen auch einem Söhnlein das Leben schenken,

verlegen den Sitz der Seele, als Gatte,

oberhalb des Tisches Platte –

Und sind überhaupt sehr monogam.[160]

Wie das so kam . . .


Da lockten die andern. Ihrer sind viele.

Sie lockten zu kindlichem Zimmerspiele

– Bewegung lächerlich, Preis bedeutend –

Immer nur eine Glocke läutend?

Immer an eine Frau gebunden?

So sollen uns alle Lebensstunden

verrinnen? Ohne boshafte Feste?

Liegt nicht draußen das Allerbeste?

Mädchen? Freiheit? Frauen nach Wahl –?


Gesagt, getan.

Mal . . .


Mal trudeln wir durch bläuliche Stunden,

tun scheinbar an fröhlichem Wechsel gesunden;

können es manchmal gar nicht fassen,

welch feine Damen bei uns arbeiten lassen.

Und jede Seele, die eine hatte,

liegt unterhalb des Tisches Platte.

Und sind überhaupt sehr polygam.


Wie das so kam . . .


So herumwirtschaften? Lebenslänglich?

Plötzlich werden wir recht bedenklich.

Sehnen uns beinah fiebrig zurück

nach Einsamkeit und Familienglück.

Und fangen als ein ganzer Mann

die Geschichte wieder von vorne an.


Wir Männer aus Berlin und Neukölln,

wir wissen leider nicht, was wir wölln.

Wir piesacken uns und unsre Fraun;

uns sollten sie mal den Hintern aushaun.

Bileams Esel, ich und du.

Gott schenke uns allen die ewige Ruh.

Amen.[161]


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 22.02.1927, Nr. 8, S. 307, wieder in: Mit 5 PS.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 5, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 160-162.
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