Keinen Mann und keinen Groschen

[191] Der Kriegsminister Geßler hat dem demokratischen Abgeordneten Erkelenz einen schweren Vorwurf gemacht. Der soll in der ›Hilfe‹ die antimilitaristische, kritische und pazifistische Haltung von ›Weltbühne‹ und ›Tagebuch‹ gelobt haben. Was hat Herr Erkelenz in Wahrheit gesagt?

»Auch diese Presse hat zweifellos einen sachlichen Wert, vorausgesetzt, daß sie von reifen, politisch erzogenen Menschen mit eigner scharfer Kritik gelesen wird. Damit soll keineswegs bestritten werden, daß diese Kritik gelegentlich auch einen berechtigten Kern haben kann und hat. So haben z.B. ›Weltbühne‹ und ›Tagebuch‹ seit Jahren auf die Mißstände in der Reichswehr hingewiesen und werden leider durch die Enthüllungen dieser letzten Tage damit gerechtfertigt. Wenn an den Fememorden einige Zipfel gelüftet sind, so ist das ein unbestrittenes Verdienst dieser Presse. Wir sind also weit entfernt, ihren politischen Wert zu verneinen. Nur wollten wir feststellen: demokratisch ist diese Presse nicht. Und mit wirklichem Nutzen kann sie nur gelesen werden, wenn sie von politisch reifen Menschen mit Mißtrauen und Kritik durchgearbeitet wird.«

Daß wir im Gegensatz zur ›Hilfe‹ – Tummelplatz des männlichen Oberzensurrats Bäumer und der Oberzensurrätin Heuss – nur von reifen, politisch erzognen Menschen gelesen werden, ist richtig. Daß ein oft vernünftiger und immer reinlicher Politiker wie Erkelenz die Freundlichkeit hat, den Wert von Mordenthüllungen nicht zu verneinen, die seine Presse erst aufgriff, als nichts mehr zu riskieren war, stimmt mich weich. Das ist aber nichts gegen unsern Freund Geßler.

Der hat wahrscheinlich weder die ›Hilfe‹ noch die ›Weltbühne‹ gelesen, sondern seine verkleideten Leute hatten ihm den Ausschnitt irgendeines Käseblättchens vorgelegt, in dem Herr Erkelenz unvorschriftsmäßig sitzender Gesinnung verdächtigt worden war.

[191] Geßler brauchte, gereizt und unsicher, diesen Angriff, weil es einen Augenblick so ausgesehn hatte, als könnte man seinem Riesenbaby von Etat ernstlich zu Leibe gehen. Also hielt er zur Durchpeitschung seiner Forderungen eine Rede, in der ›republikanische Ideologien‹ den Idealen des Soldaten: Pflichterfüllung, Treue und Festhalten an seinem Eid gegenübergestellt wurden, was eine lehrreiche Schlußfolgerung auf dem republikanischen Eid des Kriegsministers zuläßt.

Es ist nun ungemein bezeichnend, wie dieser Minister unterrichtet wird Und was er überhaupt liest und lesen darf. Da wird nicht etwa geprüft, ob die schweren Vorwürfe, die meine Freunde und ich hier seit Jahr und Tag gegen ihn erheben, auch stimmen: von der schmachvollen Tötung Hans Paasches, über die Schreckensszenen in Sachsen und Thüringen bis zu den strohdummen Gutachten der Heeresjuristen für das Reichsgericht. Ich gebe zu, daß die Presseoffiziere andres zu tun halben; wenn man im Jahre 32 300 Mark für ausländische Zeitungen und Übersetzungen ausgibt (Etat: B, Kapitel 1, Titel 11, Anmerkung e, Seite 19), dann bleibt für die inländische nicht genug Sorgfalt und Kenntnis übrig, und man muß auch in der parlamentarischen Praxis so liederlich und unsorgfältig arbeiten, wie eben der ganze Etat gearbeitet ist.

Gedrängt von der Empörung der Wähler, deren geduldigster einzusehen beginnt, daß diese sinnlose Geldverschleuderung nicht mehr angeht, raunen die Abgeordneten dumpf im Reichstagsrestaurant. Und etwas Groteskes hebt an. Sie wollen am Etat 10 Prozent streichen.

Wenn das ein Parlamentarier alten Stils erführe, einer, der den Etat noch las und nicht, wie das heute üblich ist, ihn nur bepredigte: er würde im Grabe rotieren. Denn damit geben diese Realpolitiker zweierlei zu: ihre bodenlose Unfähigkeit, in die einzelnen Etatposten überhaupt einzudringen und, zweitens, die handfeste Spekulation des Kriegsministeriums, das wie bei jedem andern Pferdehandel zunächst einmal einen gehörigen Aufschlag fordert, den es sich dann entsprechend herunterhandeln läßt. Ein Zehntel abstreichen heißt: gelogen worden ist doch, nachprüfen können wir das nicht, handeln wir ein bißchen! Ein Zehntel abstreichen heißt: wir müssen für die Wähler so tun, als ob . . . , aber im Grunde ist es ja nicht so schlimm. Daß diese 10 Prozent auch halbwegs vernünftige und vertretbare Forderungen treffen, soweit solche im Reichswehretat überhaupt vorhanden sind, berührt diese Abgeordneten nicht. Der Kriegsminister wird nun also nicht mehr, wie bisher eine Million Mark zu seiner eignen Verfügung haben, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen – sondern nur 900.000 Mark. Und er wird so viel haben, wie er will: denn eine Anzahl von Positionen tragen den trefflichen Vermerk »die Mittel sind übertragbar«, so daß also ihre Verteilung erfolgen kann, ganz nach Gutdünken.

[192] Die Reichswehroffiziere, die mit ihren Burschen morgens durch den Tiergatten traben, können sich die frische Frühlingsluft beruhigt ins Gesicht wehen lassen: vom Reichstag her droht keine Gefahr – der schluckt alles.

Ob Otto Geßler aber geht oder bleibt, ob er weiterhin seinen Demokraten die Belobigung der ›Weltbühne‹ vorwirft, oder uns beim Reichsgericht verbellt: er kann sich darauf verlassen, daß die Zahl der Deutschen, die ihn und die Welt seiner Ideenlosigkeit durchschauen, im Zunehmen ist. Es gibt heute schon zu viele Arbeiter, zu viele Angehörige der freien Berufe, zu viele Angestellte, von Herrn Erkelenz feinkomisch »kritische Individualisten« genannt, weil sie sich den Parteistempel nicht aufdrücken lassen, Leute, die sich um die Ehrbegriffe der Herren Geßler und Konsorten nicht bekümmern. Gegen die feige Abwiegelei kleiner Funktionäre, gegen die Vertuschungsversuche der herrschenden Klasse, gegen die Diktatur des Militärs, werden wir laut und deutlich in Deutschland sagen, was gegen diese Reichswehr zu sagen ist:

Der Armee keinen Mann und keinen Groschen –!


  • · Kurt Tucholsky
    Die Weltbühne, 05.04.1927, Nr. 14, S. 527.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 5, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 191-193.
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