»Gesunder Pazifismus«

[87] Der neue Kriegsminister Groener hat den Parteien eine linde Kritik des kaiserlichen Regimes hingeworfen, damit er seinen Panzerkreuzer bewilligt bekommt, und sie sind auch prompt hereingefallen. In diesen Diskussionen, die mit den Worten »Der Etat des Landheeres wird bewilligt« schlossen, fiel das Wort vom »gesunden Pazifismus«. Was ist das –?

Es gibt nur eine Sorte Pazifismus: den, der den Krieg mit allen Mitteln bekämpft. Ich sage: mit allen, wobei also die ungesetzlichen eingeschlossen sind: denn es kann von der Rechtsordnung des Nationalstaates, der auf der Staatenanarchie beruht, nicht verlangt werden, daß[87] sie die Kriegsdienstverweigerung anerkennt – es wäre Selbstmord. Also müssen wir dem Staat, bis sich die Erkenntnis vom Verbrechen des Krieges allgemein Bahn gebrochen hat, ein wenig nachhelfen – mit allen Mitteln.

Jeder Pazifismus, der den Krieg für Petroleum, für Industrien, für Schutzzölle nicht rundweg ablehnt, ist weder gesund noch ungesund, sondern überhaupt keiner.

Da lesen wir in der demokratischen Presse etwas von der »Gefährdung des Wehrgedankens«. Aber wir wollen ihn so gefährden, daß ihm die Luft ausgeht, und wir pfeifen auf jenen »gesunden Pazifismus«, der die Heere aufbaut und erweitert, der den Massenmord präpariert, der sein Land ins Unglück stürzt und der ebenso verbrecherisch ist wie das, was er vorbereitet.

»Das Militär ist nur ein Schutz gegen die räuberischen Einfälle der andern.« Das kennen wir – es wird in Zukunft überhaupt nur noch ›Verteidigungskriege‹ geben, aber unsere Generation wird auf diesen Schwindel nicht mehr hereinfallen. Jedenfalls lebt kein vollsinniger Kaufmann auf dieser Erde, der Milliarden und Milliarden in ein Geschäft hineinsteckt, das er niemals auszunutzen gedenkt. Das tut aber der Militarismus. Und es gibt da so eine Art Naturgesetz: was man jahrelang, mit dem Aufwand der äußersten Geldeinlagen, vorbereitet, das muß sich eines Tages von selbst auslösen. Geladene Gewehre gehen einmal los.

Es könnte den Generalen so passen, wenn wir diesen »gesunden Pazifismus« anerkennen wollten. Er äußert sich darin, daß der jeweilige Kriegsminister (den man immer mit seinem richtigen Titel ansprechen sollte), im Reichstag Reden hält, die zu nichts verpflichten, denen die uniformierten, faulen und charakterschwachen Abgeordneten freundlich zuklatschen – – und daß dann, wenns soweit ist, deinem Jungen der Dickdarm heraushängt, deinem Mädchen das Auge ausläuft, deinem alten Vater der Kopf zerschmettert wird . . . ah! das wollen sie nicht hören! Krieg? Aber sehen Sie doch, in allen Ländern, wie hübsch die Soldaten marschieren; und wie nett sie blasen und tuten und trommeln; und wie schmuck sie aussehen; und wie wacker sie helfen, die organisierten Nichtstuer, wenn es einmal im Jahr einen Dammbruch zu verhüten gilt. Was haben Sie gegen das Militär –?

Wir haben alles gegen das Militär, denn wir wissen, was es vorbereitet, was es ankündigt, was es bedeutet. Wir haben nichts gegen die einzelnen Bauernjungen und Offiziere, die sich da ihr Brot verdienen; hier ist oft genug auseinandergesetzt worden, daß Anflegelungen von Militärpersonen nur ein Zeichen minderer Erkenntnis sind. Der Feldwebel Schulze kann nichts dafür. Das System ist bis aufs Messer zu bekämpfen.

Die Demokraten jubeln, weil sie einen Wehrminister haben, der,[88] geschickter als der bösartige Noske und der unsägliche Geßler, wenigstens ihre Sprache spricht: die eines versöhnlichen Kompromisses. Dazu kommt, daß diese Generation von Abgeordneten, die zur Zeit im Reichstag sitzen, zum größten Teil zu den schlimmsten Kriegshetzern gehört haben: es sind Leute, denen der Respekt vor dem preußischen Militär in den Knochen sitzt und die noch aus den vier Jahren grauenhafter Fahrlässigkeit und verbrecherischer Nichtachtung aller Volksrechte an Händen und Füßen gebunden sind. Von denen ist wenig zu hoffen. Sie sind von Kindesbeinen an in der Ehrfurcht vor den Soldaten aufgezogen; das verlernt sich heute nicht mehr.

Auf die Lüge aber, als gäbe es so etwas wie einen ›richtigen‹ und einen ›falschen‹ Pazifismus, wollen wir nicht hereinfallen. Daß es anständige und brave Leute gibt, die sich Pazifisten nennen, ja, die sogar den Nobelpreis dafür bekommen, ohne doch den letzten, den entscheidenden Schritt je getan zu haben, steht auf einem andern Blatt. Ich halte zwar eine solche Rede, wie sie der höchst couragierte Professor Hans Driesch vor dem Reichsgericht gehalten hat, für falsch: es ist merkwürdig, wie wenig Gefühl für Takt und Taktik die Deutschen haben. Er mußte, sonst wäre er geplatzt, sagen, daß sich die »Deutsche Liga für Menschenrechte dem Linksradikalismus verschrieben« habe, und er mußte es dort sagen. Er wird erwidern, er habe damit für die Angeklagten wirken wollen, für die er im übrigen in verdienstvoller Weise eingetreten ist, er habe damit sagen wollen, daß er nicht so ein radikaler Geselle sei, er habe damit auf die Richter einwirken wollen. Mir scheint dies, wie vieles andere, was im deutschen Pazifismus geschieht, vielmehr darauf zu beruhen, daß jeder Deutsche einen Kosmos für sich braucht, sonst ist ihm nicht wohl. Der Deutsche will nicht sein – er will anders sein als der Nebenmann. Und ist es leider, wenns zum Klappen kommt, gar nicht . . .

Also darf man an Pazifisten keine Kritik üben? O doch, es kommt nur darauf an, wo man das tut.

Ich habe zum Beispiel gegen Fr. W. Foerster allerhand zu sagen, zum Teil sogar sehr Schwerwiegendes, ich sehe Frankreich anders als er, mir gefällt vieles nicht, was er tut, schreibt, sagt . . . aber eine Stätte gibt es, an der ich solche Einwände ganz bestimmt nicht erheben würde: die ist das Reichsgericht. So, wie ich über Foerster geschwiegen habe, solange Röttcher in Haft war, so schweige ich, wenn es gegen den gemeinsamen Feind: den deutschen Richter, den deutschen Spitzel, den deutschen Offizier geht. Man darf schon Kritik üben – aber unter uns. Hier, im ›Andern Deutschland‹ wäre einmal einiges zu erzählen über Quidde, der in Paris eine Rede gehalten hat, die eine Katastrophe gewesen ist; der heute nichts weiter zu tun hat, als gegen die französische Rheinlandbesetzung zu wettern, als ob hier der Angelpunkt für den europäischen Frieden läge. Er liegt anderswo, nämlich im[89] Osten – die Rheinlandbesetzung ist eine aufgepustete und maßlos überschätzte Sache. Es wäre dies und jenes über H. v. Gerlach zu sagen, der in seiner eigenen Taktik ertrinkt – aber alles das darf man nur unter uns sagen. Nicht vor dem gemeinsamen Feind.

Dem ist zu erzählen, daß unser Pazifismus so gesund ist wie ein rotbackiger Junge. Er strahlt, er brüllt, er zappelt mit den Beinen, und wir wollen uns alle Mühe geben, das Kind zu schaukeln. Das Fehlurteil gegen Berthold Jacob und unsern Küster soll uns Mahnung, Ansporn und Ruf an die Freunde sein:

Nun erst recht –!


  • · Ignaz Wrobel
    Das Andere Deutschland, 31.03.1928.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 87-90.
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