Das Weltwort

[234] Es gibt in allen Sprachen ein Wort,

das geht von Mund zu Munde;

es pflanzt sich durch die Lande fort,

und überall machts die Runde.

Es war einmal gewiß kein Feingut,

doch nach dem Kriege wurd es Allgemeingut.

Weil ich ein feiner Knabe bin –:

wie sag ichs meiner Leserin,

so, daß ich doch gesittet bleibe . . . ?

Vielleicht:

Ja, Scheibe –?


Herr Sternheim ist so mächtig eitel –

er wünscht sich Rosen auf den Schei –

Ja, Scheibe.


Willst du hier eine Ehe trennen,

so mußt du einen Grund benennen;

drei Männchen in Talarverkleidung,

die wühlen im Morast der Schei –

Ja, Scheibe.


Daß Deutschland militärisch bleibe,

schießt jeder Stahlhelmfritze nach der Schei –

Ja, Scheibe.

(Schießscheiben stehen aller Enden,

dies Wort ist nur mit Vorsicht zu verwenden.)


Auf daß er seine Frau in Seide lege,

kratzt mancher Arzt manchmal am Schei –

Ja, Scheibe.


Das Kabinett? Mir scheint, als ob mir schiene:

sie machten Wahlen gegen die Marine,

dann fallen sie um und willigen für nen Kreuzer ein.

Das ist des Müllers Lust. Wie oft trügt doch der Schei –

Ja, Scheibe.


In allen Sprachen gibt es dies Wort,

das geht von Mund zu Munde;

es pflanzt sich durch alle Länder fort

und überall macht es die Runde.[234]


Es paßt auf alles in der Welt . . .

nur ein Ding gibts, das nicht darunter fällt.

Dies Ding – ein jeder Kenner siehts –

ist unsere deutsche Strafjustiz,

Denn die – mit ihrem Riesenfleiße –

die letzte Zeile fehlt.

Ich weisse, was ich weisse.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 18.09.1928, Nr. 38, S. 441.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 234-235.
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