Deutsche Soldaten in der pariser Oper


[298] Die Uraufführung des Verdun-Films


Ein Friedensakt zum 9. November


Schlachtszenen in durchgehender Handlung: Verdun von 1915 – 1918. Der Deutsche darf zunächst anmerken: In keinem Falle wird der deutsche Soldat anders als mit höchstem Respekt dargestellt – hier gibt es keine Schießbudenfiguren, keine Kinderfresser und Uhrenräuber . . . gezeigt werden Männer und junge Leute, die ihr Leben in gutem Glauben einsetzten. Fast alle Szenen sind echt dargestellt. Der Regisseur Léon Poirier hat auch mit Deutschen gearbeitet: die Rolle eines jungen Soldaten wird von Hans Brausewetter gegeben.

Daß der Film von Franzosen gemacht worden ist, wird in Deutschland, das sich diese Kriegsvisionen hoffentlich nicht entgehen lassen wird, niemand an der Tendenz merken: sie ist nicht vorhanden, der[298] Film ist aus einer sauberen und anständigen Gesinnung geboren. Der Deutsche wird den französischen Ursprung in den kleinen Einzelheiten merken, die für unser Auge nicht stimmen: deutsche Offiziere geben bei einer Besprechung im Stab kein Mienenspiel von sich, wenn ihnen der General etwas eröffnet. – Dieser General (die einzige mißglückte Figur auf deutscher Seite) ist eine Karikatur des Feldmarschalls Hülsen-Haeseler, die in Wahrheit nur noch ein ehrwürdiges Dekorationsstück gewesen ist – er hat zwar ausgesehen wie eine alte Frau, ist aber ein Edelmann gewesen, und nicht wie hier, ein alter Schauspieler.

Was übrigens die Franzosen nur mit dem ›Nietsche‹ haben, dem sie nicht nur das ›z‹ amputiert haben, sondern den sie beharrlich mit dem deutschen Offizier in Verbindung bringen, das wissen die Götter. Sie können sich jene Kälte wohl sonst nicht erklären, die sie von diesem Lager her verspürt haben. Aber die Lektüre der Kasinos ist wohl eher Ganghofer und Otto Ernst gewesen.

Die französischen Soldatengesichter sind gut – das etwas weiche Schauspielergesicht Brausewetters wird kein Frontsoldat als mit der Wirklichkeit übereinstimmend ansehen.

Im übrigen hat dergleichen schon seinen Stil des offiziellen Salonpazifismus: unter gütiger Mitwirkung von Abendwolken – – – Stimmung . . . der Natur, Tierniedlichkeiten . . . Es ist alles da. Vieles ist malerisch . . . nichts filmisch – die Spielszenen sind mäßig. Auch fehlen nicht jene fatalen Allegorien, die gerade bei einem Maschinenkrieg so verlogen wirken – ach, es ist ganz etwas anderes über die Schlachtfelder geweht als gütige Frauenerscheinungen mit wehenden Gewändern . . . !

Die Kriegsszenen sind gestellt. Die grauenhaften Anstrengungen, das Leiden, die Not, die Pferdeschinderei, die tierische Existenz verkleideter Angestellter und Arbeiter, die Sinnlosigkeit dieses Lebens – das kommt einigermaßen heraus. Die Kämpfe um die Forts Vaux und Douaumont sind bestes Kollektivdrama. Der Augenblick, in dem die Franzosen das Fort Vaux verlassen, während die Deutschen vor den Tapferen das Gewehr präsentieren, ist von höchster dramatischer Spannung.

Auch der Kaiser ist zu sehen, ein alter Mann. Es blieb totenstill in dem riesigen Theater, als er erschien, totenstill auch, als die englischen Truppen gezeigt wurden. Keine Hand rührte sich. Bei den Bildern einiger französischer Generale gab es einige Pfiffe.

Wirkt nun solch ein Film, der in der Pariser Oper vor dem Präsidenten der französischen Republik und den Generalen und der ganzen pariser Gesellschaft feierlich zum erstenmal gezeigt wird, pazifistisch?

Wir haben so viele Kriegsfilme gesehen . . . Ihre Wirkung hängt offenbar von den Zwischentiteln ab, weil ja die ärgsten Roheiten des Krieges nicht auf dem Film zu sehen sind. Wenn nicht hinter jeder[299] Schreckensszene zu lesen steht, wo dies alles stattgefunden hat, dann wirken diese Filme nicht pazifistisch. Dieser hier hat auf das Taktvollste vermieden, die Greuel in eine gloriole Vaterlandsliebe münden zu lassen – dafür gebührt den Franzosen das höchste Lob. Der Film schließt nicht mit einer Parade der Sieger, er schließt mit dem Bild eines Mannes, der Samen auf seinen Acker streut, mit einem, der das zerstörte Leben wieder aufbaut.

Er schließt aber auch nicht mit dem Ruf: »Nieder mit dem Krieg!« – und das ist schade. Aber die aufgespeicherte Angst, die Anstrengung des Zuschauens, die schrecklichen Erinnerungen, die Wunden, die bei einem solchen Anblick wieder frisch zu bluten beginnen, all das entlädt sich zum Schluß befreit in einen unmißverständlichen Beifall. Das französische Publikum hat diesen Film und seine Idee ergriffen bejaht.


  • · Peter Panter
    Tempo, 09.11.1928.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 298-300.
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