Jakubowski

[268] Die Hand gekrampft um die Barriere,

so steht der graue Mann, geduckt.

In seinen Augen fragt die Leere –

man sieht, wie er den Speichel schluckt.

Ihm gegenüber, hoch erhoben,

ein kalter Stahl, der Staatsanwalt.


Es dämmern dumpf die andern Roben,

Geschworne lauschen, Rede knallt:

»So haben wir den Mord bewiesen –

und jedes Mitleid wäre schlapp!

Ich fordere von Ihnen diesen!

Haun wir ihm den Kopf ab!

Haun wir ihm den Kopf ab!

Haun wir ihm den Kopf ab –!«


Grau-regnerisch wölbt sich der Himmel

fahl über rotem Backsteinbau;

vom nahen Türmchen ein Gebimmel –

die schmutzige Turmuhr zeigt genau

halb fünf. Es öffnet sich die Pforte,

heraus schwankt ein halbtotes Tier.

Der Mund sagt unhörbare Worte . . .

–»Na, wird das! Sind wir alle hier?«

Der Staatsanwalt hält einen Bogen

und liest gefühllos, schnell und knapp.

»Und somit übergebe ich Sie dem Nachrichter!«

Geschleppt, gezogen –

Hier geschieht ein Mord!

Sie hauen ihm den Kopf ab!

Sie hauen ihm den Kopf ab!

Sie hauen ihm den Kopf ab –!


Der Körper liegt in fremder Erde.

Kein Kreuz – wie einen Hund verscharrt.

Die schlafen gut. Ein Schrei: »Es werde

Gerechtigkeit!«

Ganz Deutschland ist zum Paragraph erstarrt.

Laßt ihr euch die Justiz gefallen?

Hält euch ein Korpsstudent zurück?

Steht denn Justitia über allen?

Wagt euch an dieses Hurenstück![268]


Soll dieser Jammer niemals enden?

Werft die Figur vom Postament herab!

Einen Tritt ins Gesäß!

Die Waage aus den Händen!

Hauen wir ihr den Kopf ab!

Hauen wir ihr den Kopf ab!

Hauen wir ihr den Kopf ab –!


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 16.10.1928, Nr. 42, S. 589, wieder in: Lerne Lachen.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 268-269.
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