Mädchen aus Samoa

[201] Ich bin ein Mädchen aus Samoa. Wir gingen

mit Schmuckketten und einem Schurz bekleidet,

die Tiere des Waldes haben uns um unsere Schönheit beneidet –

wir waren frei wie sie.[201]

Dann aber sind die weißen Fremden in unser Land gekommen

und haben uns unsere Götter und unsere Felder fortgenommen –

was haben sie uns dafür gegeben?


Ihre Missionare gaben uns einen Aberglauben und Plappergebete;

ihre Kaufleute gaben uns Whisky, bedruckten Kattun und Eisengeräte –

seit wir es kennen, brauchen wir das.

Ihre Soldaten gaben uns eine neue Art, zu morden und zu henken;

ihre Männer gaben uns die Syphilis benebst einigen andern Geschenken –

das haben sie uns dafür gegeben!


In meinen tiefen Augen liegt noch die Schönheit unserer Allmutter Natur;

um meine Beine schlottert schon der Rock der Zivilisation – wartet nur:

noch bin ich halb.

Eines Tages aber werden wir alle die europäischen Gaben gegen die Ausbeuter wenden,

Telegrafen und Automobile bedienen wir mit unsern braunen Händen;

eines Tageskämpfen wir, braune und gelbe Arbeiter für unser eigenes Leben:

eines Tages werden die Kontinente sich ihre Freiheit geben –!

Denn ein Schrei geht durch die Welt, eine Sehnsucht –

aus schwer arbeitender Brust ein Gekeuch:

Proletarier aller Länder, vereinigt euch!


  • · Theobald Tiger
    Arbeiter Illustrierte Zeitung, 1928, Nr. 34, S. 11.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 201-202.
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