Oller Mann

[349] Ein alter Mann ist stets ein fremder Mann.

Er spricht von alten, längst vergangenen Zeiten,

von Toten und verschollenen Begebenheiten . . .

Wir denken: »Was geht uns das an –?«


In unser Zeitdorf ist er zugereist.

Stammt aber aus ganz andern Jahresländern,

mit andern Leuten, andern Taggewändern,

von denen du nichts weißt.[349]


Sein Geist nimmt das für eine ganze Welt,

was ihn umgab, als seine Säfte rannen;

wenn er an Liebe denkt, denkt er an die, die längst von dannen.

Für uns ist er kein Held.


Ein alter Held ist nur ein alter Mann.

Wie uns die Jahre trennen –!

Erfahrung war umsonst. Die Menschen starten für das Rennen,

und jeder fängt für sich von vorne an.


Für uns ist er ein Mann von irgendwo.

Ihm fehlt sein Zeitland, wo die Seinen waren,

er spricht nicht unsre Sprache, hat ein fremd Gebaren . . .

Und wenn wir einmal alt sind und bei Jahren –:

dann sind wir grade so.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 18.12.1928, Nr. 51, S. 924, wieder in: Lerne Lachen.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 349-350.
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