So verschieden ist es im menschlichen Leben

[32] Manchmal, wenn ich nachts nicht einschlafen kann, weil ich zu viel Plumpudding gegessen habe, wälze ich mich im Bett auf und ab, weil wie ein Albdruck etwas auf mir lastet: Hauptmanns siebzigster Geburtstag.


Wenn einer von einem Amt oder einem Beamten das Wort »verantwortlich« gebraucht, frage man sogleich: »Wem –?«


[32] Es gibt mehrere Mittel, sich die Todfeindschaft eines Kunstkaufmanns zuzuziehen: man kann sein Haus schänden, man kann seinen Kredit gefährden, man kann ihn in der Öffentlichkeit prügeln. Aber das sicherste Mittel bleibt doch immer: ihn zur Innehaltung eines abgeschlossenen Vertrages zu zwingen.


Vor Geistlichen darf man nicht Gott lästern. Vor Nationalen darf man nichts gegen das Vaterland sagen. Vor Kapitalisten nichts gegen die Nase der Börse, die tausend Nasen hat und keine . . . Die Empfindungen könnten verletzt werden. Aber ich habe noch nie gehört, daß in Deutschland irgend etwas getan wird oder unterblieben ist, weil sich Pazifisten in ihren Empfindungen verletzt fühlen.


Ein schlechter Journalist ist noch kein Philosoph.


Es ist ein großer Irrtum, zu glauben, daß Menschheits-Probleme ›gelöst‹ werden. Sie werden von einer gelangweilten Menschheit liegen gelassen.


»Der Krieg«, hat einmal ein sterbender französischer Offizier gesagt, »ist eine viel zu ernste Sache, als daß man ihn den Militärs anvertrauen könnte.«


Die Besucher einer berliner Premiere wollen Goethe, plus Dante, plus Brecht, plus Bronnen; die Besucher der 50. Aufführung wollen das Dreimäderlhaus. Nun mach du in Berlin Theater.


Wenn man auf dem Broadway nach dem 15. September einen Strohhut trägt, wird einem dieser, nach dem Sprichwort, vom Kopf geschlagen. Aber hast du schon einmal gehört, daß jemand einem Amerikaner, der in Europa geistig die Füße auf den Tisch legt, leise auf die Schulter klopft und sagt: »Sie! Bei uns dürfen Sie das nicht machen.«?


Ich möchte einmal eine Bücherbesprechung lesen, in der nicht das Wort »menschlich« vorkommt.


Wenn alle Leute erster Klasse fahren, ist die erste Klasse keine erste Klasse mehr. Berlin hat die Aristokratie des Durchschnitts erfunden.


Ganz Deutschland ist in Deutschland auf Flaschen gezogen.


Es gibt Schriftsteller, die werden gedruckt, weil sie so bekannt sind: das sind die freien Schriftsteller.[33]

Und es gibt Schriftsteller, die sind so bekannt, weil sie gedruckt werden: das sind die Redakteure.

So verschieden ist es im menschlichen Leben.


  • · Peter Panter
    Die Weltbühne, 24.01.1928, Nr. 4, S. 133.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 32-34.
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