Wenn die Igel in der Abendstunde


[223] Für achtstimmigen Männerchor


Wenn die Igel in der Abendstunde

still nach ihren Mäusen gehn,

hing auch ich verzückt an deinem Munde,

und es war um mich geschehn –

Anna-Luise –!


Dein Papa ist kühn und Geometer,

er hat zwei Kanarienvögelein;

auf den Sonnabend aber geht er

gern zum Pilsner in 'n Gesangverein –

Anna-Luise –!


Sagt' ich: »Wirst die meine du in Bälde?«,

blicktest du voll süßer Träumerei

auf das grüne Vandervelde,

und du dachtest dir dein Teil dabei,

Anna-Luise –!


Und du gabst dich mir im Unterholze

einmal hin und einmal her,

und du fragtest mich mit deutschem Stolze,

ob ich auch im Krieg gewesen wär . . .

Anna-Luise –!


Ach, ich habe dich ja so belogen!

Hab gesagt, mir wär ein Kreuz von Eisen wert,

als Gefreiter wär ich ausgezogen,

und als Hauptmann wär ich heimgekehrt –

Anna-Luise –!


Als wir standen bei der Eberesche,

wo der Kronprinz einst gepflanzet hat,

raschelte ganz leise deine Wäsche,

und du strichst dir deine Röcke glatt,

Anna-Luise –!


Möchtest nie wo andershin du strichen!

Siehst du dort die ersten Sterne gehn?

Habe Dank für alle unvergesserlichen

Stunden und auf Wiedersehn!

Anna-Luise –![223]


Denn der schönste Platz, der hier auf Erden mein,

das ist Heidelberg in Wien am Rhein,

Seemannslos.

Keine, die wie du die Flöte bliese . . . !

Lebe wohl! Leb wohl.

Anna-Luise –!


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 04.09.1928, Nr. 36, S. 376, wieder in: Mona Lisa.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 223-224.
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