Die kleinen Freuden des Lebens

[190] Kleine Freude Nr. 72. Wenn noch eine Kleinigkeit Buttersauce übriggeblieben ist und anderthalb Kartoffeln, alle haben schon aufgegessen . . . aber man kann sich da noch einen kleinen Privatbrei auf dem Teller zurechtmachen. Erfreut sehr und schmeckt auch gut.

Nr. 73. Die nicht erwartete Eintagsliebe. »I never dreamt, you fall in love with me . . . « und plötzlich: erfolgreiches Wiedersehen in Bebra – sehr schön.

Nr. 74. Der Fön. Der Fön beim Friseur . . . Ich weiß nicht, wie es bei den Damen ist . . . bei den Männern ist es so:

Die Haare sind schon geschnitten: großer Kampf mit dem Friseur, der entweder mit der Maschine dem Kopf das Ansehen eines von der deutschen Haarkrankheit Befallenen geben will, oder der gar nicht schneidet, sondern nur so herumputzelt . . . »Der Übergang, Herr!« – »Gucken Sie mal in 'n Spiegel: also wenn wir hier noch was wegnehmen . . . « das ist vorbei; dann hat er Seife auf den Haarboden geschmiert, herumgeknetet, dann hat er die Seife wieder abgeschwemmt, nun ist man müde und döst sachte vor sich. Nun nimmt er aus einer unteren Schublade den vernickelten Fönapparat und läßt ihn heulen. Hu – hu–. . u . . u – u – das schläfert ein . . . Sehr angenehm ist das. Undeutlich sieht man sein herrliches Bild im Spiegel! – Ach! Man ist ja so schön! Aber das will man jetzt gar nicht mehr sehen, man weiß es schon; wie durch einen dicken Vorhang dringen Fetzen eines Kundengesprächs herüber. »Können die Leute ja gar nicht machen. Sehn Se mal, schon rein nach der Gewerbeordnung . . . « – »Puder –?« – Süßer Halbschlaf des Föns . . . Huu . . u . . u. So satt wird man und selbstzufrieden. Ich glaube gar nicht, daß Männer zum Frisör gehen, um sich die Haare schneiden zu lassen – (auch gibt es welche, die lassen sich da rasieren: ein unvorstellbarer Vorgang!) – nein, ein Herrenfrisör dient anderen Zwecken. Hier werden die Herren Männer[190] mit Selbstbewußtsein geladen. Sie sitzen da auf ihren Stühlen, sehen sich so lange in den Spiegel, bis sie völlig hypnotisiert von sich selber sind, baden in sich und ihrer männlichen Vollkommenheit, lesen ein bißchen die Zeitung, schlafen – und wenn sie aufstehen, sind sie wie neugeboren. Es muß unten an den Stühlen eine geheime Vorrichtung sein, die sie mit ›Ego‹ füllt – vielleicht ist es auch eine Art Spiegelzauber . . . der wahre, magische Zweck des Herrenfrisiersalons ist die Stärkung des egozentrischen Systems, das ja sowieso schon beim Mann so schwach ausgebildet ist . . . . . . . (Siehe hierüber: Anna Ferenczy-Dülbög, ›Psychoanalyse an Frisörlehrlingen und Toilettenfrauen‹, Wien 1937.) Ja, da sitzt du, und die Welt ist gar nicht mehr da, nur der Fön. Hu – u – u – . . . macht er – und das soll nie wieder aufhören, immer soll das so bleiben – die Leinen der Nerven hängen schlaff zu Boden, man kann auch sagen: du hast das Steuer losgelassen; pua! ein heißer Luftstrom! Grade ins Auge . . . und dann ein kalter, und der Fön singt, und es ist alles so schön gleichgültig und verdöst und überhaupt – Es hat einmal Pflichten gegeben; es mußte etwas ›alédicht‹ werden – vom Frisör aus muß man irgendwo hingehen, das ist unbestreitbar richtig; aber das gilt jetzt alles nicht – jetzt heult der Fön, und du schläfst wachend und wachst schlafend, und unterdes wird dein Ich, tief in der Zirbeldrüse und im unteren Solarplexus, immer fetter und größer – es gedeiht am besten, wenn man nicht hinmerkt, es wächst, es schwillt auf – aber du weißt es noch nicht – Der Fön . . . der Fön . . . Einer scharrt mit dem Stuhl, das läßt die Gedanken durcheinanderkollern. Was denken sie?

Die Kopfhaut ist eine erogene Zone. Wäre ich ein Pascha – ach! wäre ich einer! – Ja, wäre ich ein Pascha, dann müßten mir meine Sultaninen, oder wie diese Mädchen heißen, den Kopf kraulen und in heißen Liebesnächten den Kopf waschen. Darum bitte ich heute schon immer alle Damen, die das Vergnügen haben . . . (»Na hören Sie mal – da möchte ich aber nicht bei Ihnen Sultanine sein! Sie lassen sich wahrhaftig von Frauen den Kopf krabbeln? Lange? Wie lange? Und waschen müssen sie den Kopf auch –?« – Ja. – »Also . . . also mir ist das unbegreiflich, wie sich eine Frau dazu . . . also das verstehe ich nicht . . . nehmen Sie mirs nicht übel!« – Nein. – »Den Kopf kraulen . . . ! Hat man je so etwas . . . « – Jetzt stören Sie Pantern hier nicht – er soll zu Ende erzählen! Also was wollten Sie vom Fön sagen –?)

Ja, da heult er, und nun ist die Zirbeldrüse in den Plexus gerutscht, und ich bin gar nicht mehr da – – Der Mann in der weißen Jacke ist fertig. »Biséh!« – Polternd fallen Komplexe, Hemmungen, Triebe, Süchte und die unterbewußten Bewußtseine durcheinander, ordnen sich . . . »Antreten –!« – Und nun sitzen alle wieder da, als wäre nichts geschehen. Torkelnd stehe ich auf. Aah – – es war sehr schön!

Kleine Freude Nr. 75. – – –


  • [191] · Peter Panter
    Vossische Zeitung, 20.09.1929, Nr. 444.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 7, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 190-192.
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