Trunkenes Lied

[218] Der Igel sprach zum Oberkellner:

»Bedienen Sie mich ein bißchen schnellner!

Suppe – Gemüse – Rostbeaf – und Wein!

Ich muß in den Deutschen Reichs-Igel-Verein!«


Da sprach der Oberkellner zum Igel:

»Ich hab so ein komisches Gefiegel –

ich bediene sonst gerne, prompt und coulant,

aber ich muß in den Oberkellner-Verband!«


Der Igel saß stumm, ohne zu acheln,

und sträubte träumerisch seine Stacheln –

Messer und Gabel rollten über die Decke.

Sie rollten zum Reichsverband Deutscher Bestecke.[218]


Des wunderte der Igel sich.

Er ging in ›Für Herren‹ züchtiglich;

doch der Alte, der dort reine macht,

war auf der Deutschen Klosettmänner-Nacht.


Ein Rauschen ging durch des Igels Stoppeln –

er tät bedrippt nach Hause hoppeln

und sprach unterwegs

(und aß einen Keks):

»Ich wohne gern. Aber seit ich in Deutschland wohne,

ist mein igeliges Leben gar nicht ohne.

Sie sind stolz, weil sie sich in Gruppen mühn –

doch sie sind nur gestörte Individühn.

Menschen? Mitglieder sind diese Leute.

Unsern täglichen Verband gib uns heute!

Amen.«

(sagte der Igel).


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 15.10.1929, Nr. 42, S. 602.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 7, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 218-219.
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