Theobald Tiger spricht

[207] Wir sind hier in der Prosaklasse, und der Tiger meldet sich immerzu. Was hast du denn? Du sagst doch sonst bloß Verse auf? Was willst du denn? Mußt du mal raus? Wackel doch nicht so mit dem Arm! Na, da sags schon, damit einmal Ruhe ist . . .

– »Ich möchte mal was sagen. Seit achtzehn Jahren singe ich meins in Versen, aber dieses hier möchte ich ganz ausnahmsweise in Prosa von mir geben. Herr Lehrer, ich muß petzen:

ich werde so furchtbar beklaut.

Von wem? Von den Cabarets. Es ist wirklich nicht hübsch, was sie da aufführen.

Kein Cabaretist, kein Conférencier, kein Cabaret-Direktor käme auf den sicherlich fruchtbringenden Gedanken, sich einen Anzug zu mausen; keiner von ihnen stellte an ein Elektrizitätswerk das Ansinnen, den elektrischen Strom umsonst zu liefern . . . aber einen Text? Einen Text kauft man nicht; den stiehlt man.

Sie stehlen eine Ware. Denn jedes literarische Produkt ist, neben allem andern, eine Ware wie ein Pfund Butter; das trifft auf Operetten zu wie auf die Verse Stefan Georges, und dabei ist auch gar nichts Herabwürdigendes. Waren aber sollte man nicht stehlen. Und die Cabaretleute klauen, daß jeder Taschendieb von ihnen lernen könnte.

Noch niemals habe ich von pazifistischen Organisationen, von Dilettanten oder von Arbeitervereinen, die meine Verse oder Szenen verwerten, Geld gefordert oder erhalten. Das ist auch ganz etwas andres: die wollen nur der Sache dienen, unsrer Sache; sie verdienen mit ihren Darbietungen nichts, diese kleinen Spieltrupps der Arbeiter sind ja froh, wenn sie ohne Unkosten durchkommen. Ihnen sei alles, was ich jemals geschrieben habe, mit Freuden gegeben.

Der Cabaretist aber lebt von diesen Texten; er verdient sich sein Brot damit. Dann sollte er mir meins nicht wegnehmen. Er mag durch mich verdienen, so viel er will – aber nicht an mir.

Da ist noch etwas andres.

Sie fragen nicht einmal, ob ich mit der Art der Rezitation einverstanden bin, und so erleben wir denn, daß da oben Verse aufgesagt werden, die niemals für den Vortrag geschrieben sind, also nicht für das Ohr, sondern für das Auge – und das ist ein himmelweiter Unterschied. Davon wissen die meisten Schauspieler nichts. Sie sagen munter auf, was ihnen grade, beim Lesen, gefallen hat – und dann wundern sie sich, wenn kein Mensch lacht, und wenn das nicht gefällt. Und der Autor ist der Dumme. Ich habe einmal in einem berliner Cabaret so etwas erlebt: da betrat eine bleichgesichtige Nutte das Nudelbrett und quäkte etwas, was ich geschrieben hatte, und ich wollte vor Scham in den Boden sinken.

[207] Sie sagen auf. Sie rezitieren, und wie rezitieren sie! Ich höre meine Verse, auch die pathetischen, recht ruhig, und wenn ich sie je vorlese, so lese ich sie auch so vor, nämlich still. Sie brüllen. Sie schnalzen. Sie rollen und donnern. Sie fuchteln und agieren. Sind das noch meine Verse? Das sind nicht mehr meine Verse. Die Mädchen machen sich niedlich damit und hopsen sie kaputt, von allen guten Geistern verlassen. Und dann bezahlen sie noch nicht mal.

Sie sprechen das auf Schallplatten. Sie ›bearbeiten‹ es. Sie modeln es um; sie ›bringen‹ es. Und der Autor guckt in den Mond.

Natürlich gibt es Ausnahmen. Willi Schaeffers ist ein anständiger Mann; was mein Freund Paul Graetz von mir spricht, hat er erworben, und er verständigt mich vorher über alles. Claire Waldoff ist sauber. Und noch ein paar. Der Rest aber klaut; leider auch die ›Katakombe‹.

O Zuhörer. Wahrlich, ich sage dir: wenn du ein Gedicht von mir in einem Cabaret hörst, ein Chanson oder sonst etwas: meist kann ich nichts dafür.«


  • · Kurt Tucholsky
    Die Weltbühne, 12.05.1931, Nr. 19, S. 708.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 9, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 207-208.
Lizenz:
Kategorien: