Brief meines Vaters

[29] Mein Vater starb, als ich fünfzehn Jahre alt war.

Ich kann mich nicht besinnen, daß er mit mir viel über Politik, über Krieg und Frieden gesprochen hat; sicherlich haben solche Unterhaltungen stattgefunden, aber eine starke Einwirkung ist mir nicht im Gedächtnis geblieben. Mein Vater stammte aus kleinen Verhältnissen. Politisch ist er niemals tätig gewesen.

[29] Vor mir liegt ein Brief vom 14. Dezember 1894. Darin schreibt er:

»Ich reiße mich nicht danach, mich als Futter für die Kater-Ideen der hohen Herren herzugeben, im Gegentheil, mir tut heute schon unser Junge leid, wenn ich daran denke, daß er mal als Vaterlandsverteidiger figurieren soll. Wenn ich Schriftsteller wäre, würde ich die Suttner noch übersuttnern. Krieg heißt doch schließlich auf Deutsch privilegierter Mord; wenn die Leute an der Spitze in Verlegenheit sind und nicht mehr aus noch ein mit der Politik und ihren Finanzen wissen, dann wird aus der Rumpelkammer die Puppe Patriotismus herausgeholt und ihr Kleid und Mantel – Erbfeind und Heldenmuth – umgehangen, und dann ist der Popanz fertig. Jeder verficht dann natürlich die gerechte Sache, jeder packt seinen Privat-Gott an den Füßen, und schließlich haben die dummen Männer und Weiber, Eltern und Kinder die Zeche zu bezahlen, der Generalfeldmarschall kriegt sieben Orden und ein Rittergut, und die armen Hinterbliebenen der Erschossenen holt der Teufel, wenn sie nicht 3 M Pension für den verlorenen Vater monatlich bekommen; Söhne werden nicht bezahlt, die gibt es zu.«

Ehre seinem Andenken.

Jetzt darf Goebbels den Mann beschimpfen, und das Kriegsministerium darf einen Strafantrag gegen den Toten stellen:

wegen Herabwürdigung des Krieges, wegen Staatsverleumdung und wegen Störung der Belange der deutschen Holzkreuz-Industrie.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 09.02.1932, Nr. 6, S. 204.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 29-30.
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