Zu einem sechzigsten Geburtstag

[63] Lieber Roda Roda,

daß du der Meister der deutschen Anekdote bist, weißt du, und das wissen auch deine Gratulanten, und sie werden dir diese Erkenntnis mit schönen Blümchen auf den Geburtstagstisch legen. Ich möchte dir einen andern Strauß binden.

Ich gratuliere dir schön.

Und ich bedanke mich bei dir, denn ich habe sehr viel bei dir gelernt. Ich schäme mich nicht, das zu sagen; gutes Deutsch darf man bei jedermann lernen. Ich habe es – unter anderm – auch bei dir gelernt.

Und dann, nach langen Jahren, als ich dich schon längst aus deinen Büchern kannte, da habe ich dich auch kennen gelernt, wie du da bist, und da habe ich etwas gemerkt, und aus dem Grunde schätze ich dich hoch ein.

Du hast viele Male etwas geschildert, was es nicht mehr gibt: das alte Österreich, dieses bunte Tuch voller Flicken. Du bist Soldat gewesen; diese Zeit liegt hinter dir. Die Tage deiner aktuellen Tagesfrechheit liegen hinter dir – und du weißt das. Du hängst nicht an der alten Zeit. Du weißt, wie literarischer Ruhm kommt und geht, und du machst dir nichts draus. Du überschätzt das nicht. Du bist beinah weise.

Ältere Leute pflegen gern die Zeit ihrer männlichen Kraft mit dem Zeitalter der Vollkommenheit zu identifizieren (»Zu meiner Zeit . . . !«), und sie machen dann jener Epoche, in der sie die Magenbeschwerden bekommen, ein saures Gesicht. Aber sie glauben immer, es liege an der Epoche und nicht an ihrem Magen, Das hast du nie getan – und auch das habe ich von dir gelernt, wie man auf anständige Art alt werden kann, ohne eine komische Figur abzugeben.

Und so laß mich denn auf deinen Geburtstagstisch, gleich neben den Dank vom Hause Habsburg, eine kleine Geschichte legen. Du wirst sie wahrscheinlich kennen, weil du alle Geschichten kennst, aber laß mich.

Auf einer wiener Opernredoute gingen zwei angeschwipste Kokotten[63] auf die Damentoilette, um sich die Hände zu waschen. Und während sie sich da zurechtmachten und puderten und schminkten, erzählten sie sich reichlich unanständige Dinge über ihre Liebhaber. In der Ecke saß still und bescheiden die letzte Frau. Und in ihrem Übermut wandte sich die eine der beiden Damen an die Alte und sagte: »Na, Mutterl, was sagst du denn dazu?«

Da hob die alte Frau den Kopf und sprach:

– »Du mei. Geliebt hat man in die achtziger Johr!«

›Geliebt‹ hat sie nicht gesagt.

Siehst du, Roda, und weil du ein kluger Mann bist und nie zurücksiehst, sondern immer ins Leben hinaus: deshalb gratuliere ich dir schön und wünsche dir alles Gute.


  • · Peter Panter
    Die Weltbühne, 12.04.1932, Nr. 15, S. 569.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 63-64.
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