Nachher

[140] »Was haben wir gelacht!« sagte er. »Wir haben so gelacht!« Er wischte sich ein wasserhelles Sekret aus den Augen, und ich tat desgleichen: denn was er da erzählt hatte, war nicht ohne gewesen. Er sprach sonst wenig von solchen Dingen – aber es waren zwei vorübergeglitten, ineinandergekrampft, mit zugeküßten Lidern, zwei, die aus ihrem Liebeshimmel heruntergefallen waren in die Hölle der Erfüllung. Übrigens wußten sie das nicht. Das hatte ihn auf den Gedanken gebracht, mir die Geschichte eines Ehepaares zu erzählen, das sich nach dem Buch liebte, nach dem vollkommnen Ehebuch, mit einer Art Notenständer am Bett. Wir atmeten tief.

»Sie haben so gelacht –«, sagte ich. »War noch genug Gelächter da –?« Er sah mich verständnislos an. »Ob genug Gelächter – wie meinen Sie das?« – »Sie wissen«, sagte ich, »woher das Gelächter kommt?« – »Aus der Brust!« sagte er und lachte tief. »Nein«, sagte ich. »Nicht aus der Brust. Wollen Sie sehen, woher es kommt, das Gelächter?« Er wollte das. Und ich zeigte es ihm.

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Es war schon finster, als wir vor dem gigantischen Berg standen. »Was ist das? Wohin führen Sie mich?« sagte er leise. »Was das ist?« sagte ich. »Es ist der Berg des Gelächters. Kommen Sie ein Stückchen hinauf – hier hinauf. Hören Sie –!« Wir lauschten.

Kaskaden von Lachen kamen heruntergebraust, Wogen von Gelächter, Kicherbäche, ganze Tonleitern klapperten herab, es schritt auf großen Füßen Treppenstufen herunter, auf uns zu, und wenn es unten ankam, verebbte es in Atemlosigkeit zu kleinen Tönen . . . Leise bewegte sich der Boden unter unsern Füßen. Dumpf dröhnend lachten die Bässe, Triller von Frauenlachen stiegen auf und fielen melodisch ab, Koloraturgelächter und silberne Schellen . . . Fettes, schadenfrohes Lachen wälzte sich ölig dahin, breit klatschte es an die Ufer; Lachgemecker und fröhliches Gelächter von Kindern, spitze Lachstimmen, die sich überlachten, eine kletterte über die andere, dann fiel alles in sich zusammen. Und wieder stieg oben ein Chor von Gelächtern auf, dumpf überdröhnt von einer dicken, alten, akkompagniert von einer süßen Weibsstimme. Stille. Ein Rinnsal von Lachtränen tropfte an uns vorbei.

[140] »Das ist der Vulkan des Gelächters«, sagte ich. »Sie kannten es nicht? Sie haben mir hier oben so viel gezeigt und kannten ihn nicht? Er versorgt die da unten mit Lachen, von oben kommt es herunter, aus dem Vulkankrater rollt es heraus, alle Sorten. Alle Gelächter, die gebraucht werden: Sie haben sie gehört? Grinsen und pfeifende Peitschen mit kleinen Knoten in der Schnur, die brennen so schön . . . dummes Lachen und befreiendes Lachen und Lachbonbons, mit Tränen gefüllt – alles kommt von da oben. Man kann nicht hinauf.«

»Was ist oben?« sagte er. »Ich habe es mir sagen lassen«, sagte ich. »Ein riesiges, tiefes Loch wie im Ätna, da quillt es heraus.« – »Aber woher kommt es?« sagte er. »Wer versorgt die Erde mit Gelächter – woher diese Quantität, die Unerschöpflichkeit, die immerwährende Bereitschaft, zu geben und zu geben –?«

»Es gibt ein Ding«, sagte ich, »das hat begriffen, warum Er das geschaffen hat, da unten. Es hat den Witz der Welt begriffen. Seitdem –« – »Seitdem?« sagte er. »Seitdem lacht das Ding«, sagte ich.

Wir wandten uns ab. Weit unten sahen wir die beiden fallen, ihrer Privathölle zu. »Ein seltsames Geschäft«, sagte ich. Er wollte lachen, setzte plötzlich ab. Im Dunkel glitt eine Tierseele scheu an uns vorüber. »Hat das nie aus dem Lachtränenbach getrunken?« sagte er. »Tiere lachen nicht«, sagte ich. »Sie sind die Natur selbst, die ist ernst, unerbittlich, vielleicht heiter – aber lachen? Er läßt sie nicht lachen.« – »Und warum nicht –?« sagte er. »Weil Er Furcht hat«, sagte ich. »Er hat Furcht, man könnte Ihn auslachen. Dabei tut es keiner. Sie gehen an den Berg des Gelächters und lachen zwar aus, aber nur einander. Hören Sie, wie es heruntergluckert!«

Jetzt war der ganze Berg überrieselt mit Gelächter, fallendem und steigendem; erst hatten wir ein wenig mitgelacht, dann lächelten wir nur noch, und nun stimmte es ganz traurig. »Lachen ist eine Konzession des Herrn«, sagte ich. »Sie ist auch danach«, sagte er. Dann glitten wir davon.


  • · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 20.02.1927, Nr. 8, S. 317, wieder in: Mit 5 PS.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 140-141.
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