Vierunddreißigstes Kapitel.

Aus der Gefangenschaft befreit. – Der Gefangene wird belohnt. – Ganz ergebenst Huck Finn!

[318] Als ich Tom zum erstenmal wieder allein sprechen konnte, fragte ich ihn, was er sich damals eigentlich bei Jims Flucht gedacht habe. Was er gethan hätte, wenn alles geglückt und er den Nigger befreit hätte, der schon vorher frei war. Und er sagte mir, sein Plan von Anfang an sei gewesen, wenn wir Jim erst glücklich heraus hätten, mit ihm auf dem Floß stromabwärts zu fahren bis zur Mündung und alle Arten von Abenteuern dabei zu bestehen, ihm dann erst zu offenbaren, daß er frei sei, ihn im Triumph auf einem Dampfboot wieder heimzunehmen, die verlorene Zeit zu vergüten, alle Nigger der Stadt brieflich zu bestellen, daß sie ihn mit Musik und Fackeln in Empfang nähmen und ihn und uns als Helden beim Einzug feierten. Das wär' freilich herrlich gewesen, aber mir war's so eigentlich doch lieber.

Jim wurde augenblicklich von seinen Ketten befreit und als Tante Polly und Tante Sally und Onkel Silas hörten, wie treu er dem Doktor geholfen, Tom zu pflegen, wurde ihm in jeder Weise flattiert und er bekam ordentliche Kleider und so viel zu essen, als er nur wollte, und er brauchte nichts zu thun, als sich seines Lebens zu freuen. Und wir nahmen ihn mit an Toms Bett und schwatzten und schwatzten[318] und Tom gab ihm vierzig Dollars, weil er so geduldig als Gefangener gewesen und uns das Spiel nicht verdorben und alles so schön gethan hatte und Jim war beinahe zu Tode gerührt und wußte nicht, was er anfangen solle vor Wonne und platzte endlich heraus:

»Na, Huck, du sehen, was Jim dir immer sagen? Was Jim dir schon früher auf Insel sagen? Jim dir sagen, er haben haarige Brust un was das bedeuten. Jim dir sagen, er sein gewesen reich un werden noch mal wieder reich, un hier – hier es sein! Du nix nie mehr sagen, Zeichen sein nix wert – Zeichen sein Zeichen – un Jim haben gewußt, er noch werden reich, so gewiß, als er jetzt hier stehen!«

Tom schwatzte nun und schwatzte und schlug uns vor, alle drei heimlich in der Nacht durchzubrennen, uns eine Ausrüstung zu kaufen und auf ein paar Wochen in die Indianer-Territorien zu gehen und dort alle möglichen Abenteuer zu bestehen. Ich sagte gleich: ich bin dabei, aber woher soll ich das Geld für die Ausrüstung nehmen; von zu Haus würde ich keines bekommen, denn das habe mein Alter inzwischen schon gewiß dem Richter Thatcher abgeschwindelt und die Gurgel hinuntergejagt.

»Das hat er nicht,« versicherte mich Tom, »das ist noch alles da – sechstausend Dollars und mehr – dein Alter hat sich gar nicht mehr blicken lassen, wenigstens so lange ich dort war.«

Sagt Jim ordentlich feierlich:

»Er nie nix mehr werden kommen, Huck!«

Frag' ich:

»Wieso, Jim?«

»Du fragen, wieso, Huck – Jim sagen: er nie nix mehr werden kommen!«

Ich aber wollt's genauer wissen und setzt' ihm ordentlich zu, da sagt er denn:[319]

»Du dir erinnern die Haus, wo schwimmen vorbei an Insel? Un Mann, wo liegen drin tot auf'm Boden? Jim ihn haben zugedeckt, weil du ihn nix sollen sehen; Huck, du dir erinnern? Du können haben dein Geld, wenn du ihr wollen haben – tote Mann sein gewesen deine Vater!« – – –


Tom ist jetzt beinah wieder ganz wohl und trägt seine Kugel wie eine Uhr an einer Kette um den Hals und sieht alle Augenblicke nach der Zeit, und mir bleibt jetzt nichts mehr zu erzählen, wofür ich auch recht froh bin, denn wenn ich gewußt hätte, was für eine furchtbare Arbeit es ist, so ein Buch zusammenzuschmieren, hätten mich keine zehn Gäule dazu gebracht. Aber noch einmal thu' ich's nicht, da soll mich Gott bewahren! Lieber Steine klopfen! Oder Holz hacken! Soviel aber seh' ich doch jetzt schon – nämlich, daß ich allein voraus zu den Indianern muß, ohne die andern, denn Tante Sally will mich durchaus adoptieren und »sievilisieren« und das halt' ich nicht aus, das kenne ich von früher her.

Ganz ergebenst

Huck Finn.[320]

Quelle:
Twain, Mark: Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn. Stuttgart 1892, S. 318-321.
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