Dritter Aufzug

[88] Palast zu Aachen, wie am Anfang des Stücks. Gisela und Graf Hugo im Gespräch.


GISELA.

Ihr kehrt zurück nach Basel, edler Graf?

HUGO.

Dem Kaiser meldet' ich den neusten Stand

Der Angelegenheiten in Burgund. Er will,

Daß ich dort wieder gegenwärtig sei

Und mit unausgesetzter Wachsamkeit

Vorbeuge jedem neuen Friedensbruch.

Noch fehlt mir Euer Urlaub, hohe Frau!

GISELA.

Befürchtet nicht, wie Ihr zu fürchten scheint,

Daß ich mit Auftrag Euch behellige,

Der dem, was Euch der Kaiser anbefahl,

Entgegen wäre! Nein, ich bitt Euch selbst,

Verwendet Euer Ansehn, Euern Rat

Allwärts zur Söhnung und Beruhigung!

Mein Oheim, König Rudolf, schätzt Euch hoch;

O haltet sein geschwächtes Alter fest,

Daß er nicht wieder wanke dem Vertrag!

Und wie Ihr diesen stärket und erhebt,

So stillt und sänftiget am andern Teil

Die gärenden Vasallen, dämpft den Mut

Des stolzen Odo, der Verwegnes sinnt,

Und hütet überall, daß nicht mein Sohn

Verbindung knüpft und neuen Anhang wirbt!

HUGO.

Verehrend ahn ich Eurer Worte Grund:

Indes Ihr gegen den Geächteten

Zu wirken scheinet, seid Ihr überzeugt,

Sein Heil zu fördern: ist Burgund nur erst

Durchaus beruhigt und dem Reich gewiß,

Dann wird der Kaiser auch geneigter sein,

Die Acht zu nehmen von des Herzogs Haupt.

Ich aber gehe freud'ger ans Geschäft,

Da ich, dem Kaiser dienend, Euch zugleich

Und Eurem Sohne frommen darf.

GISELA.

Noch eins!

Wenn Ihr jetzt wieder das Ottilienstift

Besucht und Edelgard ans Gitter tritt,

Grüßt sie von mir![88]

HUGO.

Huldreiche Kaiserin!

GISELA.

O! schöne Hoffnungen sind mir zerknickt:

Die einz'ge Tochter, die mir Gott geschenkt,

Ein holdes Kind, in zarter Jugend schon

Dem Könige von Frankreich anverlobt,

Nicht sollt ich sie zum Traualtar geleiten,

Die Totenkrone statt des Hochzeitkranzes

Mußt ich ihr flechten in das blonde Haar.

Und wieder hofft ich, daß mein Ältester

Mir eine Tochter brächte zum Ersatz;

Denn wie des Vaters Stolz darin besteht,

Den Sohn gekrönt zu sehn mit Ruhm und Macht,

So ist's der Mutter Wonne, wenn der Sohn

Einhertritt mit der jugendlichen Braut,

Der liebenden, die ihm das Leben schmückt.

Umsonst hab ich die Arme aufgetan

So seligem Empfang. Lebt wohl, Herr Graf!


Graf Hugo ab. Indem Gisela abgehen will, tritt von der andern Seite der Kaiser mit dem Grafen Mangold auf.


KUNRAD.

Verweile, Gisela, wenn nicht zu sehr

Dich anderen Berufes Eile drängt!

GISELA.

Auf dich zu hören gehet jedem vor.

KUNRAD.

Aus Schwaben ist mir Botschaft zugekommen,

Sehr unerfreuliche, womit ich gern

Dein Ohr verschonte, wenn sie anders dir

So unerwünscht wie mir zu hören ist.

Der Überbringer dieser Kunde selbst,

Graf Mangold, melde dir, was dort geschehn!

MANGOLD.

Erlauchte Frau, laßt es den Boten nicht

Entgelten, wenn die Botschaft Euch mißfällt!

Indes der Ungar deutsche Mark bedräut

Und wider ihn das Aufgebot ergeht,

Indes erhebt von schwäb'schen Gauen her

Sich innre Gärung. Durch den Schwarzwald streift

Unheimlich eine kriegerische Schar,

Die man zuerst für Räuber achtete

(Denn ihre Zehrung holt sie mit Gewalt),

Bis man hernach an ihrer Spitze sah

Den Fürsten Ernst und Wernern, seinen Freund.

Noch werden sie auf fünfzig kaum geschätzt,[89]

Noch sind sie unberitten, schlecht bewehrt,

Noch öffnete sich ihnen keine Burg,

Noch lagern sie in Wald und Felsgeklüft,

Und doch ist dumpfes Harren überall,

Und mancher, der die Klinge schon geputzt,

Um mit dem Heer nach Ungarn auszuziehn,

Erwartet, was daheim geschehen will.

GISELA.

Schreckt nicht die Reichsacht und der Kirchenbann,

Womit mein Sohn belegt ist, jeden ab?

MANGOLD.

Ein sonderbarer Glaube herrscht im Volk:

Sie wollen's nicht begreifen, daß ihr Fürst

So lang gesessen in der Kerkernacht;

In wundervolle Reisen wandeln sie

Die öden Jahre der Gefangenschaft

Und geben sein Ergrauen vor der Zeit

Dem scharfen Strahle fremder Sonnen schuld.

GISELA.

Ich selber hab es immer nicht gefaßt,

Wie, der so jung sei und so lebensfroh,

Im Kerker modern könne, und noch jetzt

Erscheint er mir im Traume anders nie

Denn frisch und blühend, wie er sollte blühn:

Die Mutter, die ihn unterm Herzen trug,

Kann nicht vergessen, was sein Alter ist.

Doch laßt mich weiter hören, was man spricht!

MANGOLD.

In Indien und im ganzen Morgenland

Hat er der Abenteuer viel bestanden:

Durch eines finstern Berges Eingeweid

Riß ihn auf schwankem Floß ein wilder Strom;

Der ries'ge Greif entführt ihn durch die Wolken;

An dem Magnetberg fuhren seinem Schiff

Die Nägel aus, daß es in Trümmer ging;

Mit Völkern von unmenschlicher Gestalt

Hat er gekämpft und manchen Sieg erlangt.

Was je ein Pilger Seltsames erzählt,

Das wird auf Eures Sohnes Haupt gehäuft,

Und dieser Schein des Wunderbaren zieht

Leichtgläubige Gemüter mächtig an.

GISELA.

Wohl fuhr mein Sohn durch einen finstern Berg,

Ein furchtbar Schicksal rafft' ihn durch die Luft,

Die Nägel seines Schiffes lösten sich,

Die ungetreuen, daß es scheiterte,[90]

Und auf den Scheitern treibt er noch umher.

Weh ihm, wenn sich das edle Menschenbild

Zu wilden Mißgestalten ihm entstellt!

KUNRAD.

Graf Mangold, diese Rede kränk Euch nicht!

Ihr habt getan, was Ehr und Pflicht gebot,

Und mein Vertrauen lohnet Euch dafür.

Dies Schwert hat meine Hand Euch umgehängt,

Nicht um darauf zu ruhn (den Toten nur

Legt man die Schwerter unters müde Haupt):

Zur fernern Tat bezweckt ich Euch zu weihn,

Und wenn ich vom ital'schen Heereszug

Zurück Euch hielt, so war die Absicht die,

Daß ich mir einen wohlerprobten Arm

Bewahrte für die heimische Gefahr.

Der Augenblick ist da: der Aufruhr gärt;

Ihr sollt ihn mir vertilgen in der Brut.

Und wie ich Eures Oheims klugem Sinn

Der Staatsgeschäfte Leitung anvertraut,

So übergeb ich Eurer Tapferkeit

Die Kriegsmacht mit vollkommener Gewalt.

Nur rasch zum Werk! Der Rücken werd uns frei!

Der Ungarn Andrang, den die Meuterer

Zu nützen hofften, leidet nicht Verzug.

Mit nächstem werd ich selbst in Schwaben sein,

Um nachzusehn, was Euer Schwert vollführt.

MANGOLD.

Geblendet von so hellem Gnadenschein,

Von plötzlicher Erhebung überrascht,

Versagt mir jeder Ausdruck meines Danks

Und meiner treuesten Ergebenheit.

KUNRAD.

Die Vollmacht langt Ihr bei dem Kanzler ab.

Dich, Gisela, gemahn ich deines Eids.


Ab.


GISELA.

Herr Graf, vergönnt mir, Euer Schwert zu sehn!


Sie nimmt es.


Und ist nun das die mörderische Spitze,

Die nach dem Blute meines Sohnes lechzt?

Nicht kann ich Schwerter schmelzen und nicht darf

Ich Menschen rühren, doch zum Himmel noch

Darf ich mich wenden in der Seelenangst:

O gnadenreiche Mutter, der ein Schwert

Durchs Herz gegangen, als du tränenvoll[91]

Aufblicktest zu dem Kreuze deines Sohns,

Dich fleh ich an, gestatte du es nicht,

Daß dieser kalte Mordstahl meinem Kind

Die Brust durchbohre und die meine mit!


Sie gibt das Schwert zurück. Mangold ab.


Ein Pilger stehet dort im Säulengang;

Er sah mich beten, und gefaltet hält

Auch er die Hände. Segne Gott den Mann,

Der mein schmerzvolles Flehen unterstützt!

Tritt ein! Die Tore dieses Hauses sind

Jedwedem offen, der nach Hülfe geht.

PILGER.

Wer mir kann helfen, muß ein Meister sein.

GISELA.

Dein Blick ist finster, deine Stirn gefurcht;

Ein tiefer Kummer, nicht von gestern her,

Hat dich getrieben auf die Pilgerfahrt.

PILGER.

Das Angedenken einer grausen Tat

Verfolgt mich.

GISELA.

Rede, wenn ich's wissen soll!

PILGER.

Ich war ein Ritter, nein, ein Jäger nur;

Mich trieb die unbarmherz'ge Lust, das Tier

Zu hetzen auf das Tier; mich rührt' es nicht,

Wenn mich die Hindin, blutig und zerfetzt,

Betränten Auges bat um ihren Tod.

Wär mir wie einst dem heiligen Hubert

Das Kreuz erschienen auf des Hirsches Haupt,

Ich hätt ihm doch den Pfeil ins Herz geschnellt!

Nun kam der Herzog einst (Ihr werdet bleich,

Erlauchte Frau?), er kam in meinen Forst,

Als eben dort ein Zwanzigender strich.

Welch beßre Kurzweil hätt ich ihm gewußt,

Als ihn zu laden zu so edler Jagd?

Auf schweißbeträuften Rossen rannten wir

Dem Wilde nach; der Herzog hatte schon

Sich mit gespannter Sehne vorgelegt;

Da gönnt ich ihm den Hauptschuß nicht: ich warf

Querüber meinen Speer, der Hirsch flog hin,

Hin flog das led'ge Pferd, am Boden lag

Der Herzog, in der Seite meinen Speer.

GISELA.

Weh dir!

PILGER.

Gebüßt war meine Lust.[92]

GISELA.

Warum

Zerreißest du mein Herz, das schon genug

Von Angst gequält ist, noch mit Schrecknissen

Verfloßner Tage? Mörder meines Gatten,

Unsel'ger Adalbert, ist dir es leid,

Daß dich die Zeit und deiner Schuld Gefühl

Unkenntlich machte? Gerne hab ich stets

Auch Unbekannten hülfreich mich gezeigt;

Warum, wenn irgend Not zu mir dich führt,

Hebst du den Vorhang, der wohltätig mir

Die gräßliche Vergangenheit bedeckt?

ADALBERT.

Der Herzog aber richtete sich auf,

Und ächzend sprach er: »Komm, dir ist verziehn;

Komm her, damit ich sterb in deinem Arm!«

Und als ich ihn im Arme hielt, da schlossen

Die Jäger einen dichten Kreis umher.

Und wieder sprach er: »Ist kein Priester hier?

Mich drücken meine Sünden.« Drauf begann

Er uns zu beichten mit gebrochnem Laut.

Sein Letztes war: »Für meine Seele betet!

Sagt meiner Frau, der Gisela, sie soll

Ihr Witwentum bewahren, soll nicht mein

Vergessen.« Ward's Euch ausgerichtet?

GISELA.

Ja.

ADALBERT.

Mein Friede war seit jenem Tag dahin,

Denn wo ich ging und wo ich rastete,

War mir's, als krampfte sich ein Sterbender

An meine Brust, als hört ich dicht am Ohr

Ein letztes Röcheln; drum den Pilgerstab

Ergriff ich, nahm mein Söhnlein auf den Arm,

Nach Sankt Georgen trug ich es hinüber,

Daß es erwachs in strenger Klosterzucht

Und nicht den Jagdspieß werf auf seinen Herrn.

Zum heil'gen Grabe wallt ich, betete

So lang und brünstig dort, daß ich dem Stein

Eindrückte meiner Kniee Spur. Umsonst!

Kein Friede stieg erquickend mir herauf.

Zehn Jahre lang in harter Sklaverei

Zog ich am Pfluge wie ein Stier und riß

Der dürren Erde Schollen auf. Umsonst:

Die Saat ging auf, kein Segen grünte mir.[93]

Als ich nun wiederkam ins deutsche Land

Mit dem Entschluß, mir einen finstern Wald

Zu suchen, den, wie meine Seele, nie

Ein Sonnenstrahl durchdringt, um mir darin

Ein Klausnerhaus zu bauen und mein Grab,

Da fragt ich erst, als ich die Straße zog:

»In welchem Kloster, welcher Siedelei,

In welcher tiefsten Einsamkeit verweilt

Die Witwe des erschlagnen Herzogs Ernst,

Um zu beweinen ihres Gatten Tod

Und um zu beten für sein Seelenheil?«

Da wies man mich des Weges fort und fort,

Bis ich vor diesem Kaiserschlosse stand,

Und bis ich trat in dieses Prunkgemach.

Jetzt weiß ich, warum der Ermordete

Von mir nicht läßt, und jetzt ist mir es klar,

Daß er von mir nicht lassen wird, solang

Vergessen bleibt, was sterbend er befahl.

GISELA.

Wenn dies dich quält und mich zu quälen treibt,

So höre denn mir zur Rechtfertigung

Und dir zum Troste, wie es sich begab!

Ich lebte, wie es Witwen ziemlich ist,

Mit meinen Kindern einsam und betrübt.

Die Herrn des Landes aber forderten,

Daß meinem Sohne, dem verwaisten Ernst,

Ein zweiter Vater werde, der zum Schutz

Dem Knaben sei und der das Herzogtum

Bevogte bis zu Ernstes Mündigkeit.

Der tapfre Graf in Franken, Kunrad, warb

Um meine Hand, und er vor allen schien

Ein tücht'ger Schutzherr meiner Sprößlinge;

Ihn wünschten die Vasallen unsres Lands;

Er ward von meinen Räten mir gerühmt;

Ich aber blieb dem Witwenstande treu.

Als ich nun eines Morgens vom Gebet

Aus der Kapelle kam, da war der Hof

Mit hochzeitlichen Reitern angefüllt,

Aus deren Reihn der hohe Kunrad trat

Und mich auf einen schmucken Zelter hob;

Die Landesherren aber und das Volk,

Die mich verteid'gen sollten, jubelten[94]

Der seltsamen Entführung Beifall zu.

So ist's geschehn. Verdamme, wenn du kannst!

ADALBERT.

Vermeßner Sinn, der sich zu weise dünkt,

Die Warnung eines Sterbenden zu achten!

Den du den Hort der Deinigen geglaubt,

Er ist ihr Feind, ihr Unterdrücker jetzt.

Du aber stehest mit geteiltem Herzen

Inmitten doppelseitigen Verbands,

Und schon hast du dem erstgebornen Sohn

Durch schnöden Eid stiefmütterlich entsagt.

GISELA.

Willst du mich töten, wie du den Gemahl

Mir tötetest?

ADALBERT.

Ein Warner komm ich dir.

Umsonst hat Kaiser Heinrich Euch ermahnt,

Den Bund zu lösen, dem die Kirche zürnt,

Weil du des Kunrads Anverwandte bist;

Vergebens zauderte der Erzbischof,

Da er dich krönen sollt als Königin;

So muß nun ich erscheinen im Palast,

Nicht um, ein Höfling, Weihrauch dir zu streun,

Nein, um zu warnen mit dem letzten Hauch

Des Sterbenden, den ich in mich gesaugt,

Daß du entsagest diesem Ehebund,

Daß du die Witwe bleibest Herzog Ernsts

Und seinen Kindern eine Mutter seist.

GISELA.

In meinem Heiligsten greifst du mich an:

Du wirfst mir vor, was noch kein Weib ertrug,

Du kränkst mich da, wo auch die Löwin fühlt,

Du reißest an den Banden der Natur.

War meine Einsicht kurz, mein Vorsatz schwach,

Die Liebe doch ist ewig stark in mir;

Hab ich den Eid geschworen allzu rasch,

So hab ich tausendfältig drum gebüßt;

Hab ich den Witwenschleier nicht bewahrt,

Die Kaiserkrone trag ich unentweiht;

Es segnet mich mein Haus, es segnet mich

Das Volk, so weit man deutsche Zunge spricht.

Der Andacht bau ich hohe Tempel auf,

Der Krankheit weih ich Pflegehäuser ein,

Der Armut spend ich meiner Kammern Schatz,

Allwärts entblühet Segen meiner Spur[95]

Und, thront der Kaiser mit dem Schwert des Rechts,

So thron ich mit der Gnade Palmenzweig:

Vermittlerin bin ich, Fürbitterin,

Wie meinen Kindern, so dem ganzen Volk.

Du aber, der du strafend vor mich trittst

Und mir die Krone werfen willst vom Haupt

Und mir das Herz erdrücken in der Brust,

Was tatest du, das dich berechtigte,

Mich zu vernichten, sprich! was tatest du?

Den Stein hast du gehöhlt mit deinen Knien,

Am Pflug hast du gezogen statt des Stiers,

Dich selbst hast du zerfleischet, ob dir gleich

Der, den dein Speer gefällt, so schön verzieh:

Dein Werk ist tot, unfruchtbar all dein Tun.

Und wenn du nun durch deutsche Gaue wallst

Und siehst die Burgen glänzen auf den Höhn

Und siehst die Ritter reiten durch das Tal

Und hörst des Jagdhorns Klänge durch den Wald,

Die wohlbekannten ...

ADALBERT.

Weck nicht diesen Hall!

GISELA.

Und siehst das Feuer brennen auf dem Herd

Und siehst die Kinder spielen vor der Tür:

Mußt du nicht schamrot werden vor dir selbst,

Daß du so leblos durch das Leben gehst?

Warst du nicht selber einst ein Rittersmann?

Hast du nicht einen Forst, nicht eine Burg?

Hast du nicht einen Herd und hast ein Kind,

Das du verlassen so unväterlich?

Und wenn dich nicht die Lust des Lebens lockt,

Weißt du nichts mehr von Ritterpflicht und Tat?

Ist keine Unschuld mehr bedrängt? Ist kein

Unglücklicher, der tapfern Arms bedarf?

Irrt nicht dein Herzog, dem den Vater du

Erschlagen, irrt er hülflos nicht umher,

Geächtet, ohne Burg und ohne Herd?

O! läge nicht der Eid vor meinem Mund,

Wär nicht verschüttet mein lebend'ger Quell,

Wär nicht gebunden meiner Liebe Kraft,

Ich wollte mit dir ringen, finstrer Geist,

Und wie die Sonn ins Mark der Erde dringt

Und aus dem Boden treibt die grüne Saat,[96]

So wollt ich dich ergreifen, totes Herz,

Und bersten sollte mir dein starres Eis.


Ab.


ADALBERT.

Bin ich verwandelt? Wie ist mir geschehn!

Hat mich ein Zauberstab berührt? Bin ich

In einen Wunderbrunnen eingetaucht?

Was nicht der Ölberg, nicht das heil'ge Grab,

Was nicht des Jordans hochgeweihte Flut

An mir getan, das hat dies Weib vermocht.

Ja, Gott kann Wunder wirken überall!

Der Schuld, die mich zermalmte, bin ich los,

Das Tor der Gnade schließt sich leuchtend auf,

Dem Hoffnungslosen ist ein Weg gezeigt.

Nicht das entsühnte meine Mörderhand,

Daß ich sie wund gerungen im Gebet,

Nein, hülfreich sei dem Sohne sie gereicht,

Dem sie den Vater freventlich geraubt!

Soll ich gegeißelt sein, so sei's für ihn!

Mein Blut, für ihn vergossen, wascht mich rein,

Mein Geist, für ihn verhaucht, schwebt himmelan,

Und mein Geschlecht, das ich verflucht gewähnt,

Noch kann es blühen: bis ins fernste Glied

Bin ich gesegnet. Heil sei diesem Weib!


Ab.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 2, München 1980, S. 88-97.
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