Erste Szene

[97] Schwarzwald. Auf der Höhe die Burg Falkenstein. Im Vordergrund Werner, den schlafenden Ernst im Schoße. Kriegsleute, umhergelagert.


WERNER.

Er schläft in meinem Schoß, er schläft so sanft;

Vertrauend hat er sich mir angeschmiegt.

O! nur zu sehr hat er mir stets vertraut:

Die Eiche, die ihm sollte Schutz verleihn,

Hat auf sein Haupt den Wetterstrahl gelenkt.

Sein Leben war so schön, so morgenhell,[97]

Bis ich sein Freund und sein Verderber ward.

Ich bin's, der in den wilden Streit ihn riß,

Ich warf ihn ins Gefängnis, ich hab ihn

Geächtet, ich sein Liebesglück zerstört,

Mein Werk ist er, wie er hier vor mir liegt,

Doch er ist immer freundlich, immer treu;

Kein andrer Vorwurf ward mir je von ihm

Als diese Blässe seines Angesichts

Und dieser Schmerzenszug in seinem Schlaf.

O könnt ich ihn mit diesen Armen weit

Hinübertragen in ein glücklich Land,

Wo Friede wohnet und wo Freude blüht,

Wo dem Erwachenden sein schweres Leid

Verschwunden wäre wie ein böser Traum!


Adalbert tritt auf.


ADALBERT.

Da liegt er. Ha! wie er dem Vater gleicht,

Als der Erblaßte mir im Arme lag!

WERNER.

Tritt sacht auf, Pilger! Weck nicht meinen Freund!

ADALBERT.

Laß mir die Wacht bei diesem Schlafenden!

Ich hab ein altes Recht, die Herzoge

Im Arm zu halten.

WERNER.

Wunderlicher Mann!

Wenn man dir tiefer in die Runzeln schaut,

Bist du der Adalbert von Falkenstein.

ADALBERT.

Wenn du die Locken von der Stirne streichst,

Bist du der Werner, der von Kiburg stammt.

WERNER.

Was willst du hier?

ADALBERT.

Den Herzog sucht ich auf.

WERNER.

Weißt du, daß er gebannt, geächtet ist?

ADALBERT.

Wer solchen Fluch getragen hat wie ich,

Der bleibt von Acht und Bannstrahl ungeschreckt.

Das eben soll vom Fluche mich befrein,

Daß ich dem Ächter öffne meine Burg,

Den sichern Horst, der dort vom Felsen trotzt.

WERNER.

Schon hab ich angeklopft an ihrem Tor;

Der Burgvogt hat den Einlaß uns versagt.

ADALBERT.

Ihm übergab ich meiner Väter Haus,

Als ich hinausging auf die Pilgerfahrt,

Und keinem öffnet er als seinem Herrn.[98]

ERNST erwachend.

Wer ist der Mann?

WERNER.

Mein Herzog, sei erfreut!

Erhebt euch, ihr Gefährten unsrer Not!

Gewonnen ist uns heut der erste Sieg.

Noch schweiften wir im Walde wie der Wolf,

Noch kreisten wir umher, dem Geier gleich,

Der sich nicht setzen darf auf wohnlich Dach,

Und nur der Busch, der auch das Wild behegt,

Und nur die Schluft, die auch das Raubtier birgt,

War uns Herberge; dieser Mann zuerst

Eröffnet menschliche Behausung uns:

Die Burg dort oben schließet er uns auf

Und macht uns heimisch in dem schwäb'schen Land.

ERNST.

Wer bist du, der du, selbst ein Pilger, mir,

Dem unstet Wandernden, ein Obdach beutst?

ADALBERT.

Ich bin der unglücksel'ge Adalbert,

Der seinen Herzog in die Seite warf,

Und der von fünfzehnjähr'ger Pilgrimschaft

Nur dann entsündiget nach Hause kehrt,

Wenn du mit ihm in seine Mauern trittst.

O wende dich nicht ab! Bei diesem Kreuz,

Das noch der Stätte Denkmal ist, auf der

Dein Vater starb und sterbend mir vergab,

Beschwör ich dich, verschmähe nicht mein Haus!

Du rettest eine Seele.

ERNST.

Hingebeugt

Auf diesen Boden, den dein Blut getränkt,

Umfassend diesen moosbedeckten Stein,

Den in der Mitternacht dein Geist umschwebt,

Klag ich, geliebter Vater, dir mein Los;

So elend siehst du mich und so verwaist,

Daß ich zu dem die Zuflucht nehmen muß,

Der dich gemordet.

WERNER.

Horch! ein Horn erdröhnt.

Zur Wehr, ihr Männer! Weicht vom Herzog nicht!

ERNST.

Nicht wie zum Angriff naht sich diese Schar.

Sie schreiten vor in ernstem Trauerzug,

Umflort ist ihr Panier, die Schärpen schwarz.

Das ist Warin, der Schwabens Fahne trägt.


Warin, an der Spitze einer Kriegsschar, tritt auf.
[99]

WARIN.

Wir treten, Herzog, in geringer Zahl,

Doch tapfern und getreuen Muts zu dir.

Hinunter ins ital'sche Schlachtgefild

Hat uns dein Bruder Hermann einst geführt,

Das Banner, das ich trage, wallt' ihm vor

Zu manchem heißen, ehrenvollen Kampf.

Des jungen Helden freute sich das Heer;

Uns Schwaben nur war's auf des Jünglings Stirn

Ein häßlich Mal, daß er die Würde trug,

Die dir entrissen worden, und ich selbst

Hab ihm die Fahne mit Verdruß geschwenkt.

Nach wohlerfochtnem Siege zogen wir

Hinauf gen Susa, wo die holde Braut,

Des Grafen Tochter, ihn erwartete.

Da fiel auf uns der Seuche böser Tau;

Die Männer sanken auf dem Weg dahin,

Nicht einzeln, nein, in Schwaden hingemäht,

Und nicht erhielt der besten Ärzte Kunst

Des Herzogs junges Leben: zu Trient

Liegt er begraben; seinen Leib hat so

Das Gift verzehret, daß wir selbst sein Herz

Nicht mit uns brachten in das Vaterland.

Noch in der Stunde seines frühen Tods

Berief er mich und, von mir abgewandt,

Damit mir nicht sein Anhauch tödlich sei,

Sprach er: »Das Banner, das du trägst, Warin,

Bring meinem Bruder Ernst! Für ihn allein

Hab ich's genommen und bewahrt, für ihn

Hab ich's mit Ruhm bekränzt.« Dies letzte Wort

Ergriff die Herzen. Trauernd und beschämt

Folgt' ihm zu Grab der Unsern kleiner Rest;

Dann setzten wir, gehorsam dem Befehl

Des Sterbenden, sogleich den Heimzug fort.

Noch unterwegs, noch auf der Alpen Steig

Hat uns der Tod gezehntet; manche Leiche

Ward in das Felsgeklüft hinabgestürzt.

Wir aber bringen dir dein brüderlich

Vermächtnis: nimm dies trauernde Panier!

Führ uns zum Kampfe, führ uns rasch voran,

Bevor noch lichter unser Häuflein wird!

Denn der noch jetzo blühend vor dir steht,[100]

Trägt schon vielleicht in sich der Seuche Keim,

Und besser fällt ein Mann in offner Schlacht,

Als daß er auf dem Krankenlager fault.

ERNST.

O, herrlich tret ich in mein Herzogtum!

Des Vaters Mörder öffnet mir das Tor,

Des Bruders Leichenzug ist mein Gefolg.

Komm, Adalbert! Mich schrecket nicht der Mord.

Folg mir, Warin! Ich scheue nicht die Pest.


Alle ab.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 2, München 1980, S. 97-101.
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