[104] Burg Falkenstein. Ernst allein, am Fenster.
ERNST.
Es ist die Zeit jetzt, wo im offnen Land
Das reife Ährenfeld den Schnittern winkt,
Wo in den sonnigen, belebten Gaun
Allwärts geerntet wird und eingeheimst.
Ich bin vom Feld der Ernten ausgesperrt,
Bin eingeschlossen in der Wildnis hier
Und blicke von dem Felsen dieser Burg
Hinunter in den Abgrund, wo der Strom
Durch Trümmer und gestürzte Föhren tost;
Die Tannenwälder überschau ich, die
Im Winter grün sind und im Sommer welk.
Mir ist kein andres Erntefest bereit,
Als wo die Schwerter statt der Sicheln sind,
Und wo ich selbst die falbe Ähre bin.
Der Türmer bläst. O, möcht es Werner sein!
Der Abend dunkelt, und mir bangt um ihn.
Er ist's. Ja, nicht gefangen sein kann der;
Die Fesseln sprängen ab von seinem Arm,
Die Schlösser klirrten auf vor seinem Hauch:
Die Freiheit mögt ihr binden, diesen nicht.
[104] Werner tritt auf; der Saal füllt sich mit Kriegsleuten
Ernsts.
WERNER.
Herein, herein, ihr Männer! Kommt und hört!
Euch alle gehet meine Kundschaft an:
Wir sind umzingelt, jeder Weg verbaut,
Und kaum bin ich hieher noch durchgeschlüpft.
Ja, dieser Kaiser schreitet raschen Schritt;
Nichts rettet uns als schleuniger Entscheid.
Schon weiß ich nicht zu schätzen ihre Zahl,
Und jeder Tag verstärket Mangolds Schar.
Uns ist der Zuwachs abgeschnitten, wir
Sind unsern Freunden aus dem Blick gerückt;
Die uns erwarten, haben nicht Gewähr,
Ob wir noch stehn, ob wir zertreten sind.
Noch stehn wir, und noch ist uns freigestellt,
Zu wählen zwischen Übergab und Kampf,
Und noch getröst ich mich der Möglichkeit,
Daß wir in einer heißen, blut'gen Schlacht
Den Feind zernichten und, mit Sieg gekrönt,
Vorbrechen in das Land, das uns erharrt.
Wenn jetzt wir zaudern, bleibt uns keine Wahl
Als zwischen Übergab und Hungertod!
Entschließt euch, Männer! Soll's gekämpfet sein?
WARIN.
Zum Kampf begehren wir.
DIE ANDERN.
Zum Kampf! zum Kampf!
ERNST.
Ist einer unter euch, dem eine Braut,
Ein Weib, ein Kind das Leben kostbar macht,
Er zieh im Frieden! Nicht verdenk ich's ihm,
Nicht heisch ich so verzweifelten Entschluß.
Ihr schweigt und steht. So ruf auch ich: »Zum Kampf!«
Der erste Morgenschein find uns bereit!
Ein jeder rüste sich, so gut er kann!
Manch Waffenstück noch hängt in diesem Saal,
Das unser Wirt uns willig überläßt.
WERNER.
Du selber, Herzog, bist noch unbewehrt
Und jedem bloßgegeben, der dich sucht;
Laß mich dich wappnen für den heißen Tag!
ERNST.
Ist's eine Sturmhaub, ist's ein Bruststück nur,
Genug, wenn es die Wetterseite schirmt.
WERNER.
Die Brünne werd um deine Brust geschnallt!
Den Kettenpanzer werf ich über dich,[105]
Den Sturmhut bind ich unter deinem Kinn,
Dein gutes Schwert häng ich in diesen Gurt.
Sei dieser Stahl wie unsre Treue stark!
Sei'n diese Ringe fest wie unser Bund!
Adalbert tritt gewappnet aus der Schar, einen Jüngling an der Hand.
ADALBERT.
Zum Ritter umgewandelt tret ich jetzt
Vor dich, mein Herzog! Dir verdank ich es,
Daß mir der Helm die Stirne wieder deckt,
Daß mir das Schwert die Hüfte wieder schmückt.
Wenn auch den Arm die Jahre mir geschwächt,
Verschmäh nicht meinen Dienst! Als Jüngling auch
Geb ich mich dir: sieh! dieser ist mein Sohn;
Er sei der deine! Aus dem Klosterzwang
Hat er sich losgerissen, Waffenwerk
Hat er mit Fleiß erlernet. Nimm ihn hin!
Verjüngt empfängst du mich, unschuldig noch
Und unbefleckt von deines Vaters Blut.
ERNST.
Ich nehm ihn. Füg es Gott, daß ich ihn dir
Zurück kann geben, wie ich ihn empfing!
WERNER.
Der ich bis jetzt als Kriegsknecht dir gedient,
Gewappnet als ein Ritter tret auch ich
Dir nun zur Seite, denn ein solcher Kampf
Steht uns bevor, wobei es sich verlohnt,
Im vollen Kriegesschmucke zu erscheinen.
Beneiden aber muß ich diesen Mann,
Der dir ein doppelt Leben widmen darf.
Laß dir erzählen einen lust'gen Schwank,
Weil jetzt die Zeit ist, Schwänke zu erzählen!
Als Kaiser Heinrich einst zu Regensburg
Aufs Jagen ausritt, gab er den Befehl,
Daß keiner von den Herren seines Hofs
Sich folgen lasse mehr denn einen Knecht.
Gleichwohl kam ihm der Graf von Abensberg
Mit dreiunddreißig Reisigen getrabt,
Ein rüstig Häuflein, sauber angetan,
Die Rößlein wohl gesattelt und gezäumt.
Da sprach der Kaiser: »Ist Euch unbekannt,
Daß Ihr nur einen Diener bringen sollt?«
Der Graf darauf: »Nur einen bring ich mit.« –[106]
»Wer sind die andern?« – »Meine Söhne sind's:
Sie alle schenk ich und befehl ich Euch.
Sie seien Euch im Frieden eine Zier,
Im Krieg ein Beistand! Laß es Gott gedeihn!«
So sprach der Graf. O wär ich reich wie er!
O könnt ich dir so vielfach Leben weihn!
So aber steh ich einsam auf der Welt,
Von meinem Stamm hab ich mich losgesagt,
Geschleift ist meiner Väter alte Burg,
Kein Haus hab ich, kein Weib und keinen Sohn;
Nichts hab ich dir zu bieten als mich selbst.
In meines Lebens ungeschwächter Kraft,
Im Stolz der Freiheit, in des Herzens Glut,
Im Klirren dieser Waffen werf ich mich
Dir in die Arme, dein bis in den Tod.
ERNST.
Hat je ein Herzog solche Schar geführt,
So treuergebne, so hochherzige?
Ja, meine Würde fühl ich: anders nicht
Darf ich euch führen als in Fürstentracht,
Damit ich, siegend oder sterbend, so
Erscheine, wie es eurem Herzog ziemt.
Erkennen soll man mich, damit das Schwert,
Das mich begehret, keinen trifft von euch.
Ein Scharlachmantel hängt an jener Wand;
Legt mir ihn um! Es ist ein fürstlich Kleid.
ADALBERT indem er Ernsten den Mantel umlegt.
Dein Vater trug's auf der unsel'gen Jagd.
Die Zeit hat es entfärbt.
ERNST.
Dies blasse Rot
Ist echte Farbe meines Mißgeschicks.
WARIN.
Den Schild hier, drauf das Wappen Eures Stamms
Erbleicht ist, trug der tapfre Hermann einst.
Er würd Euch angeboten, gält uns nicht
Für schlimmes Zeichen solch erloschnes Bild.
ERNST.
Gib her! Der Letzte meines Stamms, geh ich
Der Schlacht entgegen, die entscheiden wird,
Ob dieser welke Scharlach neu erblühn,
Dies trübe Wappen neu erglänzen soll.
WERNER.
Heil unsrem Herzog!
DIE ANDERN.
Heil dem Herzog Ernst![107]
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Ernst Herzog von Schwaben
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