Erste Szene

[152] Gehölz.

Herzog Leopold sitzt in tiefsinniger Stellung in einem offenen Zelt, das gegen den Hintergrund unter den Bäumen steht. Zwei Pilgerinnen, die eine verschleiert, treten im Vordergrund auf.


ERSTE PILGERIN.

Wir sind am Ziel, und weil mein helles Auge

Euch statt des eignen nachtumhüllten dient,

So wisset, Herzog Leopold ist hier!

In einem Zelte, das von allen andern

Gesondert unter dunkeln Bäumen steht,

Sitzt er, gebogen auf sein bloßes Schwert,

Und starrt mit wildem Blick den Boden an.

So, hört ich sagen, sitz er manches Mal

Seit jenem Unglückstage, da sein Bruder

Gefangen ward; dann fahr er plötzlich auf

Und tobe blutig durch des Gegners Land.

Ich wag es nicht, dem Schrecklichen zu nahn;

Wollt Ihr ihn wecken?

ZWEITE PILGERIN.

Herzog Leopold!

ERSTE.

Er hört nicht. Jüngst in Basel sei's geschehn,

Daß man zu seiner Ehre Fackeltanz

Anstellte. Festlich klang das Saitenspiel,

Die schönsten Frauen zogen ihn zum Reihn,

Doch freudlos, ohne Lächeln schritt er hin.

Versucht es nochmals! Besser, sollt ich meinen,

Als jenen Freudenschall verstehet er

Den Laut des Schmerzes.

ZWEITE.

Herzog Leopold

LEOPOLD vortretend.

Wer ruft? Wer nannte mich? Ein flehend Weib.

Hinweg! such nicht Barmherzigkeit bei mir,

Dem unbarmherzig die Gestirne sind!

ZWEITE PILGERIN sich entschleiernd.

Kennst du mich?

LEOPOLD.

Isabella!

ISABELLA.

Ja, ich bin's,

Die Witwe, die elendeste der Fraun.[152]

LEOPOLD.

Was willst du?

ISABELLA.

Meinen Jammer will ich dir

Verkünden, will dir klagen meine Not:

In jener Stunde, da mir Botschaft kam

Von Friedrichs Unsieg und Gefangenschaft,

Da riß ich ab mein fürstliches Gewand,

Und mein Geschmeide trat ich in den Staub;

Im rauhen Pilgermantel zog ich aus,

Und wo ein Gnadenbild den Gläub'gen winkt,

Da wallt ich hin und seufzt und betete.

Mit Fasten und Kasteiung quält ich mich,

Und meiner Tränen heiße Quelle floß

So unversieglich, daß die Augen wund

Mir wurden und der Blick mir dunkelte.

Und als ich heute nach durchweinter Nacht

Dies Mädchen fragte: »Tagt's noch immer nicht?«

Da sprach sie: »Strahlt die Sonne denn nicht hell?«

Ich aber sah nicht mehr den goldnen Strahl.

Und ist's ein Wunder, wenn mir alles Licht

Dahingeschwunden mit dem schönen Freunde,

Der meiner Augen Trost und Wonne war?

LEOPOLD.

In jener Stunde, da mir Ludwigs Sieg

Berichtet ward, stemmt ich auf einen Stein

Den Knauf des Schwertes, und mit offner Brust

Wollt ich hinein mich werfen. Was sie dort

Verhinderten, noch kann es hier geschehn:

Hier klirrt mein Schwert, und siehst du nicht die Tat,

Doch kannst du tauchen in mein heißes Blut

Und kannst befühlen die erstarrte Hand.

DIE BEGLEITERIN.

Weh uns!

ISABELLA.

Halt ein! Den Weibern überlaß

Die Werke der Verzweiflung und des Grams!

Nicht also büßest du das große Leid,

Das du mir angetan. Den Gatten hast

Du mir gerissen in den wilden Kampf;

Du hast ihn mir verloren, als du ihm

Gefehlt am großen Tage der Entscheidung:

Von dir verlang ich ihn; den Gatten gib

Mir wieder und mit ihm der Augen Licht!

LEOPOLD.

So manches Jahr hab ich ihm treu gedient,

Manch lange Winternacht, manch schönen Mond[153]

Hab ich gelegen vor den festen Städten

Und vor den Burgen seiner Feinde;

Doch er, um einen Tag, um wenig Stunden,

Die er auf mich soll warten, wirft er hin

Der jahrelangen Mühe teuren Preis.

Und dennoch ward ich nicht der Arbeit laß,

Und alles setzt ich dran, ihn zu befrein:

Nach Avignon bin ich gewandert, habe

Den Staub geküsset von des Papstes Sohlen,

Bis er den Bannstrahl warf auf Ludwigs Haupt;

Dem Könige von Frankreich beugt ich mich

Und bot ihm Deutschlands Kron und sah ihn drob

In eitler Lust sich spreizen wie ein Pfau;

Nach Prag hin eilt ich, und dem Luxemburg

Gab ich zerrissen hin den alten Brief,

Der unser Recht auf Böhmens Thron verbürgt;

Und wieder kam ich, überfiel den Bayer

Vor Burgau, trieb ihn schmählich in die Flucht,

Verheere sein Gebiet mit Schwert und Brand

Und laß ihn nimmer sich des Sieges freun.

Doch wenn das alles uns nicht fruchten will,

Wenn keine Macht der Erd uns Hülfe schafft,

Wenn nicht den Himmel dein Gebet erweicht,

So bleibt nur eines noch: die Hölle nur

Ist übrig, und auch diese reiß ich auf.

DIE BEGLEITERIN.

Graunvolle Stunde!

ISABELLA.

Sprich! was hast du vor?


Die Bühne verdunkelt sich. Unter den Bäumen erscheint Albertus, in den Mantel gehüllt.


LEOPOLD.

Schon lagern sich die Schatten auf das Land,

Das Nachtgeflügel rauschet in den Zweigen,

Und dort schon harrt der Meister schwarzer Kunst,

Der mir gelobt, den Bruder zu erlösen.

Tritt vor, Albertus! Ja, ich traue dir.

Ich hab's erfahren, mächt'ger sind auf Erden

Des Abgrunds Geister als die himmlischen.

Bist du bereit, die Wandrung anzutreten?

ALBERTUS.

Noch eines fehlt mir.

LEOPOLD.

Was?

ALBERTUS.

Ein Zeichen, Herr,[154]

Daran er wisse, wer mich abgeschickt.

Kein Ring, kein Kleinod, nichts von Goldeswert,

Ein Wort nur, ein Gedanke, der die Seel

Ergreift und die Beschwörung wirksam macht.

LEOPOLD.

Dir, Isabella, fehlt's am wenigsten

An solcher Losung. Zögre nicht! Du bist

Der Nacht verfallen und des Lichts beraubt.

ISABELLA.

Die Sterne schau ich nicht, doch weiß ich wohl,

Sie gehn jetzt glänzend auf ob meinem Haupt;

Mein Aug ist dunkel, doch im Innern leuchten

Die Angedenken sel'ger Liebeszeit.

Bei was ich den Gemahl beschwören will,

Hat mit der Hölle Mächten nichts gemein:

Ja, ich beschwör ihn bei dem Ahnungstraume,

Der mir ihn wies, bevor ich ihn gekannt,

Bei der Begegnung, als er, hergesprengt

An meinen Wagen, die Umhüllung hob

Und froh erschreckend eins das andre sah;

Bei jenen Wonnetränen, die mir quollen,

Als er zuerst an seine Brust mich schloß;

Beim goldnen Liebessterne, der so hell

In unsre Hochzeitkammer funkelte;

Bei jeder Stunde des verschwundnen Glückes

Und jetzt bei diesen blindgeweinten Augen,

Bei diesen Seufzern, dieser Seelenangst;

Bei all der Sehnsucht, all der Liebe, die

Mein glühend Herz beseligt und verzehrt.

LEOPOLD.

Und ich beschwör ihn bei den Todeswunden

Des Vaters, bei den eignen Wunden, die

Zu Nacht mich schmerzen, daß ich ächzen muß,

Bei der gebrochnen Lanzenspitze, die

Mir in der Seite steckt, bei diesem Schwerte,

Das ich am bösen Tag auf mich gezückt,

Bei den Gespenstern der Erschlagenen,

Die mich verfolgen, bei den Feuerbränden,

Die ich in Städt und Dörfer schleuderte,

Bei allem, was mir auf der Seele brennt,

Bei allem, was an meinem Leben frißt:

Bei Rache, Zorn, Verzweiflung, Raserei.


Leopold geht in das Zelt zurück, die Frauen und Albertus nach verschiedenen Seiten ab.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 2, München 1980, S. 152-155.
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