3. Der Kastellan von Couci

[166] Wie der Kastellan von Couci

Schnell die Hand zum Herzen drückte,

Als die Dame von Faiel

Er zum erstenmal erblickte!

Seit demselben Augenblicke

Drang durch alle seine Lieder,

Unter allen Weisen stets

Jener erste Herzschlag wieder.

Aber wenig mocht ihm frommen

All die süße Liederklage,

Nimmer darf er dieses hoffen,

Daß sein Herz an ihrem schlage.

Wenn sie auch mit zartem Sinn

Eines schönen Lieds sich freute,

Streng und stille ging sie immer

An des stolzen Gatten Seite.

Da beschließt der Kastellan,

Seine Brust in Stahl zu hüllen

Und mit drauf geheft'tem Kreuz

Seines Herzens Schlag zu stillen.

Als er schon im heil'gen Lande

Manchen heißen Tag gestritten,

Fährt ein Pfeil durch Kreuz und Panzer,

Trifft ihm noch das Herze mitten.

»Hörst du mich, getreuer Knappe?

Wann dies Herz nun ausgeschlagen,

Zu der Dame von Faiel

Sollt du es hinübertragen!«

In geweihter, kühler Erde

Wird der edle Leib begraben;

Nur das Herz, das müde Herz,

Soll noch keine Ruhe haben.

Schon in einer goldnen Urne

Liegt es, wohl einbalsamieret,

Und zu Schiffe steigt der Diener,

Der es sorgsam mit sich führet.

Stürme brausen, Wogen schlagen,

Blitze zucken, Maste splittern,

Ängstlich klopfen alle Herzen,[166]

Eines nur ist ohne Zittern.

Golden strahlt die Sonne wieder,

Frankreichs Küste glänzet drüben,

Freudig schlagen alle Herzen,

Eines nur ist still geblieben.

Schon im Walde von Faiel

Schreitet rasch der Urne Träger,

Plötzlich schallt ein lustig Horn

Samt dem Rufe wilder Jäger.

Aus den Büschen rauscht ein Hirsch,

Dem ein Pfeil im Herzen stecket,

Bäumt sich auf und stürzt und liegt

Vor dem Knappen hingestrecket.

Sieh! der Ritter von Faiel,

Der das Wild ins Herz geschossen,

Sprengt heran mit Jagdgefolg

Und der Knapp ist rings umschlossen.

Nach dem blanken Goldgefäß

Tasten gleich des Ritters Knechte,

Doch der Knappe tritt zurück,

Spricht mit vorgehaltner Rechte:

»Dies ist eines Sängers Herz,

Herz von einem frommen Streiter;

Herz des Kastellans von Couci,

Laßt dies Herz im Frieden weiter!

Scheidend hat er mir geboten:

Wann dies Herz nun ausgeschlagen,

Zu der Dame von Faiel

Soll' ich es hinübertragen.«

»Jene Dame kenn ich wohl!«

Spricht der ritterliche Jäger,

Und entreißt die goldne Urne

Hastig dem erschrocknen Träger;

Nimmt sie unter seinen Mantel,

Reitet fort in finstrem Grolle,

Hält so eng das tote Herz

An das heiße, rachevolle.

Als er auf sein Schloß gekommen,

Müssen sich die Köche schürzen,

Müssen gleich den Hirsch bereiten

Und ein seltnes Herze würzen.[167]

Dann, mit Blumen reich bestecket,

Bringt man es auf goldner Schale,

Als der Ritter von Faiel

Mit der Dame sitzt am Mahle.

Zierlich reicht er es der Schönen,

Sprechend mit verliebtem Scherze:

»Was ich immer mag erjagen,

Euch gehört davon das Herze.«

Wie die Dame kaum genossen,

Hat sie also weinen müssen,

Daß sie zu vergehen schien

In den heißen Tränengüssen.

Doch der Ritter von Faiel

Spricht zu ihr mit wildem Lachen:

»Sagt man doch von Taubenherzen,

Daß sie melancholisch machen:

Wieviel mehr, geliebte Dame,

Das, womit ich Euch bewirte!

Herz des Kastellans von Couci,

Der so zärtlich Lieder girrte.«

Als der Ritter dies gesprochen,

Dieses und noch andres Schlimme,

Da erhebt die Dame sich,

Spricht mit feierlicher Stimme:

»Großes Unrecht tatet Ihr,

Euer war ich ohne Wanken,

Aber solch ein Herz genießen

Wendet leichtlich die Gedanken.

Manches tritt mir vor die Seele,

Was vorlängst die Lieder sangen,

Der mir lebend fremd geblieben,

Hat als Toter mich befangen.

Ja, ich bin dem Tod geweihet,

Jedes Mahl ist mir verwehret,

Nicht geziemt mir andre Speise,

Seit mich dieses Herz genähret.

Aber Euch wünsch ich zum Letzten

Milden Spruch des ew'gen Richters.« –

Dieses alles ist geschehen

Mit dem Herzen eines Dichters.
[168]

Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 166-169.
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