Trinklied

[53] Wir sind nicht mehr am ersten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das,

Was rauschet und was brauset.


So denken wir an den wilden Wald,

Darin die Stürme sausen,

Wir hören, wie das Jagdhorn schallt,

Die ROSS' und Hunde brausen,[53]

Und wie der Hirsch durchs Wasser setzt,

Die Fluten rauschen und wallen,

Und wie der Jäger ruft und hetzt,

Die Schüsse schmetternd fallen.


Wir sind nicht mehr am ersten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das,

Was rauschet und was brauset.


So denken wir an das wilde Meer

Und hören die Wogen brausen,

Die Donner rollen drüberher,

Die Wirbelwinde sausen.

Ha! wie das Schifflein schwankt und dröhnt,

Wie Mast und Stange splittern

Und wie der Notschuß dumpf ertönt,

Die Schiffer fluchen und zittern!


Wir sind nicht mehr am ersten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das,

Was rauschet und was brauset.


So denken wir an die wilde Schlacht,

Da fechten die deutschen Männer,

Das Schwert erklirrt, die Lanze kracht,

Es schnauben die mut'gen Renner.

Mit Trommelwirbel, Trommetenschall,

So zieht das Heer zum Sturme;

Hin stürzet von Kanonenknall

Die Mauer samt dem Turme.


Wir sind nicht mehr am ersten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das,

Was rauschet und was brauset.


So denken wir an den jüngsten Tag

Und hören Posaunen schallen,

Die Gräber springen von Donnerschlag,

Die Sterne vom Himmel fallen.

Es braust die offne Höllenkluft

Mit wildem Flammenmeere,[54]

Und oben in der goldnen Luft,

Da jauchzen die sel'gen Chöre.


Wir sind nicht mehr am ersten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das.

Was rauschet und was brauset.


Und nach dem Wald und der wilden Jagd,

Nach Sturm und Wellenschlage,

Und nach der deutschen Männer Schlacht

Und nach dem jüngsten Tage:

So denken wir an uns selber noch,

An unser stürmisch Singen,

An unser Jubeln und Lebehoch,

An unsrer Becher Klingen.


Wir sind nicht mehr am ersten Glas,

Drum denken wir gern an dies und das,

Was rauschet und was brauset.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 53-55.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
Gedichte und Reden

Buchempfehlung

Aristoteles

Physik

Physik

Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Prinzipiellen zum Indiviudellen ist der Kern der naturphilosophischen Lehrschrift über die Grundlagen unserer Begrifflichkeit von Raum, Zeit, Bewegung und Ursache. »Nennen doch die Kinder zunächst alle Männer Vater und alle Frauen Mutter und lernen erst später zu unterscheiden.«

158 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon