Eilftes Kapitel

[150] Sobald es bei Albertinen Tag wurde, welches heut eben nicht früh geschah, kam Madame Euler, zu erfahren, wie es mit der glänzenden Gesellschaft abgelaufen sei? »Nun, Albertine, war der Abend, die Nacht, die sie durchwachten, all der Anstrengung, des Aufwandes werth?« Albertine gab ehrlich von allem Bescheid, auch von der angenehmen neuen Bekanntschaft mit dem Baron Weißensee. »Sie waren, fürcht' ich, in keiner gar zu ehrenvollen Versammlung, und dieser Name Weißensee bringt mir einen dieses Namens in's Gedächtniß, der nach den Briefen, die ich in Eulers Nachlaß fand, zu den ausgelassensten Wüstlingen[150] gehört, welche diese große Stadt aufzuweisen hat.« – »Nun, das kann dieser nicht seyn; er ist der feinste, liebenswürdigste Mensch, den ich noch je sahe.« Jetzt ließ sich Albertine ganz enthusiastisch zu seinem Lobe aus, wozu Henriette, schalkhaft lächelnd, immer: »daß dich!« sagte, und endlich: »Nun, wenn er so ist, kann er freilich der aus den Briefen nicht seyn. Wir werden ja sehen!«

Indem wurde Ulmenhorst gemeldet. Albertine machte, Gott weiß, warum? ein sauersüßes Gesichtchen, als wär's ihr eben nicht ganz recht. Wir wollen indeß nicht glauben, daß ihr Selbstgefühl ihr einen Vorwurf gemacht habe, als der Vertraute ihres Grams um den beweinten Gatten vor ihr erscheinen sollte.

Albert kam mit einem Auftrag, der ihn einigermaßen verlegen machte. Er hatte bei seinem Bankier eine Summe von zweihundert Louisd'or für Albertine von Lindenhain, die über Lyon für sie ohne Brief oder weitern Bescheid angekommen war,[151] angetroffen. Sie war von der Municipalität einem großen Hause in Paris übermacht und durch dieses hierher gekommen. Das Päckchen war von Lindenhains Hand überschrieben und mit seinem Wappen gesiegelt. So emsig übrigens Albertine in dem Umschlage nach irgend einer weitern Bezeichnung suchte, fand sich nichts vor, das von Lindenhains Leben gezeigt hätte, und so nahm sie es unter tausend Thränen als das Vermächtniß des Sterbenden und gewiß in der Gefangenschaft Gestorbenen an.

Henriette suchte geschickt das Gespräch abzuleiten, Albertinens Zartheit zu schonen, und machte dagegen ihren gestrigen Abend zum Gegenstand der Unterredung. Albert beobachtete ein beharrliches Stillschweigen, und hielt beides, Tadel und Beifall, zurück. »Kennen Sie einen Baron Weißensee?« fuhr sie fort, mit einem leichten Seitenblick auf Albertinen, die merklich erröthete. »Ich kenne ihn!« antwortete Albert einsilbig. – »Unsre Freundin findet[152] ihn scharmant,« setzte Henriette scherzend hinzu; »ist er's?« – Albert verdüsterte sich merklich, um so mehr, als er Albertinens bedeutende Verlegenheit bemerkte. Darauf antwortete er kalt: »Wenn Frau von Lindenhain ihn mit ihrem Beifall beehrt, kann es der, den ich kenne, der ein unbekannter Avanturier ist, nicht seyn!« Albert brach hiermit das Gespräch ab und empfahl sich ziemlich ernsthaft.

»Der Ulmenhorst ist ein ausgemacht wackerer junger Mann,« sagte Henriette. »Ich weiß wohl, was ich wünsche.« – »Nun, und was denn?« – »Daß Albertine seinen Werth fühlen und ihn mit ihrer Hand lohnen möchte!« – »Wie? Er liebt ja Tante Elisen!« – »Tante Elisen? Gott erbarme sich! Ich weiß es besser. Nichte Albertinen liebt er.« – »Er hat mir doch nie etwas davon gesagt.« – »Männer seiner Art sagen nichts; sie haben eine eigene Sprache; sie hat freilich keine Worte, ist aber doch höchst verständlich und ausdrucksvoll!« –[153]

In diesem Augenblick, als Albertine eben antworten wollte und auf eine unangenehme Art verlegen zu seyn schien, kam Rosamundens Zofe und ladete Albertinen zu ihrer Dame ein, indem der Herr von gestern Abend seine Aufwartung mache. »Es ist ein allerliebster junger Herr!« flüsterte das Ding im Herausgehen Albertinen zu.

Henriette bemerkte mit wirklicher Bekümmerniß den Eindruck, den diese Botschaft auf ihre Freundin machte; und als diese nicht zu wissen schien, wie sie geschwind ihre Toilette ordnen sollte, ohne Anlaß zu den kleinen Neckereien der vertrauten Freundschaft zu geben, trat Henriette gutmüthig hinzu, reichte ihr eine feine Spitzenhaube und legte mit einem sanften Kuß einen Schawl um ihre Schultern, reichte ihr dann die Hand, und sagte: »Adieu, auf Wiedersehen!« – »Nicht doch, Henriette! Sie müssen ihn kennen lernen.« – So schlenderten sie beide, Hand in Hand, in das Visitenzimmer.

»Sie sehen, ich bin nicht neidisch, liebe[154] Lindenhain!« rief ihr Rosamunde entgegen, und schien dabei sich etwas damit zu wissen, daß sie der Schönheit und Jugend huldigte. – »Ei, Madame Euler! wie kommt man denn einmal zu der Ehre, Sie ihrer Einsamkeit zu entlocken? Herr Baron, eine berühmte Künstlerin!« – Die Dame wollte aus Eitelkeit ihrer ganzen Umgebung eine vollwichtige Bedeutung geben. Madame Euler lehnte das berühmt bescheiden ab; aber durch den Ausruf: Künstlerin! gewann das Gespräch eine interessante Wendung, wobei der Baron sehr einsichts- und geschmackvoll über die Kunst sprach. Henriette schien sehr zufrieden mit ihm zu seyn, und sagte nachher Albertinen: »ist er, was er scheint, so ist Ihre kleine Partheilichkeit vollkommen gerechtfertigt. Indeß fürchte ich mich vor der erstaunlichen Regsamkeit seiner Muskeln. Bemerken Sie doch das ewige Spiel derselben, das seiner Bildung nicht fünf Minuten nach einander denselben Ausdruck läßt. Im Ganzen ist er mir auch zu glatt, zu hell polirt,[155] als daß er nicht harter Natur seyn sollte.«

Albertine schwieg, fand aber im Herzen an dem Urtheile ihrer Freundin viel auszusetzen; seine Aufmerksamkeit schmeichelte ihrer kleinen Eitelkeit sehr, da er, nachdem er die Welt so durchkreuzt und gesehen hatte, sie dennoch auszeichnete. Sie verglich ihn, beinahe ohne es zu wollen, mit Alberten, den sie ein wenig dem Hintergrunde zuschob, so wie beinahe ohne ihr Zuthun, unter ihrem Krayon des Barons Gestalt auf den Vordergrund hervorging, als sie eine Idee ausführen wollte, worin er eigentlich gar nicht eingriff.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 150-156.
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